Als DVD & VoD

Concerned Citizen

ein Film von Idan Haguel

Israel 2022, 82 Minuten, hebräische Originalfassung mit deutschen Untertiteln

FSK 12

Kinostart: 2. Februar 2023

Zur Filmbesprechung in der Sissy

Zur DVD im Salzgeber.Shop

Concerned Citizen

Ben hält sich für einen liberalen schwulen Mann. Er hat einen gut bezahlten Job und wohnt mit seinem Partner Raz in einem schicken Apartment in einem migrantisch geprägten Stadtteil Tel Avivs. Zum Glück fehlt dem Paar nur noch ein Kind. Um ihre Wohngegend zu verschönern, pflanzt Ben einen Baum auf der anderen Straßenseite. Doch seine gut gemeinte Tat löst eine Kette von Ereignissen aus, an deren Ende ein Geflüchteter aus Eritrea brutal von Polizisten zusammengeschlagen wird. Bens Bild von sich selbst, seiner Beziehung, ja der ganzen Gesellschaft gerät aus den Fugen.

Elegant verknüpft Regisseur Idan Haguel eine Erzählung über Schuld, Sühne und ein moralisches Dilemma mit beißender Sozialkritik: „Concerned Citizen“ ist eine satirische Parabel über das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, unhinterfragte Privilegien und tief sitzende Vorurteile, präsentiert mit bitterbösem Humor.

Trailer

Biografie

IDAN HAGUEL (Regie & Buch) ist Absolvent des Sapir College Film Departments im israelischen Kreis Scha’ar HaNegev. Nach einer Reihe von der Kritik gefeierter Kurzfilme hatte sein Langfilmdebut „Inertia“ seine Weltpremiere in der Sektion Forum der Berlinale 2016. 2017 nahm er bei Berlinale Talents teil. Er ist sowohl als Journalist als auch als Drehbuchautor für das israelische Fernsehen tätig. „Concerned Citizen“ ist sein zweiter Langfilm.

  • 2015

    „Inertia“

  • 2022

    „Concerned Citizen“

Director’s Statement
Idan Haguel über seinen Film

Man kann „Concerned Citizen“ als eine zynische „White-Guilt-Trip“-Komödie über einen Gentrifizierten (Ben, 35) bezeichnen, der in einem vernachlässigten Stadtteil im Süden Tel Avivs lebt und zu dessen Nachbarn auch eritreische Geflüchtete zählen. Diese Umgebung zwingt ihn, die (wollen wir sagen) unschönen Seiten seines Charakters zu erforschen, derer er sich bislang nicht bewusst war.

Wir haben den Film in einer Wohnung im Süden Tel Avivs gedreht, in der ich selbst mehrere Jahre gelebt habe. Mir war es wichtig, die Atmosphäre und Geschehnisse in der Gegend möglichst authentisch wiederzugeben. Die beiden Protagonisten des Films sind auch in der Realität ein Paar. Das war mir wichtig, denn die Dynamiken und Nonchalance einer realen schwulen Beziehung sind nur sehr schwer mit Schauspielern nachzuempfinden, die kein Paar oder nicht schwul sind. Ähnliches gilt für die Schauspieler, die im Film die eritreischen Geflüchteten darstellen: Sie selbst sind Geflüchtete aus einem Auffanglager für Asylsuchende aus dem Sudan und Eritrea, das sich in der Wüste Israels befindet. Durch dieses Casting hat „Concerned Citizen“ an Authentizität gewonnen.

Der Film wird aus der weißen und priviligierten Sicht des Protagonisten erzählt. Von dieser Perspektive rührt auch die Satire her. Ich wollte mir nicht anmaßen, die Perspektive der Geflüchteten für mich zu beanspruchen, die in der inneren Welt unseres Protagonisten keinen Platz haben.

Der Film erzählt von schwulen Figuren, aber er tut das, um die bürgerlichen Elemente der Gesellschaft in Tel Aviv zu reflektieren. Wir wollten eine queere Geschichte aus einem anderen Blinkwinkel erzählen. Es geht nicht unbedingt um Liebe oder Coming-out, sondern um eine Welt, in der sich schwule Figuren – die oft als Opfer dargestellt werden – zu Schikaneuren entwickeln.

Interview
Im Gespräch mit Idan Haguel

Das Thema „White-Guilt“ wird nur sehr selten im zeitgenössischen Kino verhandelt. Woran liegt das?

Ich finde, dass die „White Guilt“ von Filmemacher:innen oft in Geschichten kanalisiert wird, die aus der Sicht „des Opfers“ erzählen werden – nur sehr selten geht es um sie selbst, „die Schikaneure“. In den letzten Jahren ist Kino sehr politisch geworden, von Filmemacher:innen wird eine Art Aktivismus erwartet. Das mag zwar moralisch „richtig“ sein, ich finde das aber weniger interessant und herausfordernd. Ich habe meine Protagonist:innen satirisch gezeichnet. Die humoristischen Elemente entzerren auf diese Weise mögliche Fettnäpfchen. Dabei habe ich sehr darauf geachtet, auf wen die Witze abzielen. Ich mache keine Witze über die ernsten Themen, um die es geht, sondern hauptsächlich über die Art und Weise, wie die Protagonist:innen diese wahrnehmen.

Siehst Du Parallelen zu anderen Ländern, was die Polizeigewalt gegen Minderheiten betrifft?

In Israel gibt es Menschen mit unklarem Rechtsstatus. Die Polizei und andere Menschen nutzen dies manchmal zu ihrem Vorteil aus. Polizeigewalt macht sich in anderen Ländern vielleicht anders bemerkbar, ich habe die Situation vor Ort in den Blick genommen, nicht ein globales Phänomen. Zu sehen, dass viele Menschen hier nur zuschauen, wenn Gewalt gegen Immigrant:innen ausgeübt wird, lässt mich persönlich an eine dunkle und nicht allzu weit zurückliegende Zeit denken, in der Juden und Jüdinnen „die Immigrant:innen“ waren.

Der Film wurde in derselben Wohnung gedreht, in der Du selbst auch lange gelebt hast. Inwiefern ist dies eine persönliche Geschichte und wie haben Deine eigenen Erfahrungen zum Entstehungsprozess beigetragen?

Ich habe einige Jahre in der gleichen Nachbarschaft im Süden Tel-Avivs gelebt, der sehr unorthodox ist und mich sehr geprägt hat. Die Idee zum Film kam mir, als ich Zeuge eines brutalen Arrests durch die Polizei wurde, der mich ein Jahr lang verfolgt hat, bis ich mich dazu entschloss, dieses Erlebnis filmisch zu verarbeiten.
Ich kann nicht für andere Länder sprechen. In Süd-Tel-Aviv leben viele nicht-jüdische Immigrant:innen, die meistens nicht legal als Bürger:innen anerkannt werden. Xenophobie durchtränkt das gesamte Gebiet auf allen Ebenen und hat es unbeliebt für viele mittelständische Familien gemacht. Mit den fallenden Mietpreisen kamen die Schwulen, und dann ist es nur noch ein kurzer Weg bis zur Gentrifizierung – salopp gesagt.
Die Charaktere im Film sind schwul, weil ich es auch bin, und weil sie auf diese Weise automatisch als liberal und „woke“ angesehen werden, sowohl von sich selbst als auch von den Zuschauer:innen. Der Film versucht diese Wahrnehmung zu benutzen und sie zu hinterfragen. Zudem wünsche ich mir persönlich, dass Kino unterschiedliche schwule Figuren zeigt und auch die Geschichten dementsprechend verändert. Auch ich liebe Coming-out-Geschichten und subtile homoerotische Spannungen, aber es gibt mittlerweile so viele dieser Filme, dass es fast ein wenig langweilig wird.

Wie hast Du die eritreische Gemeinschaft in den Produktionssprozess integriert? Und hattest Du Angst, dass der israelisch-palästinensische Konflikt auch eine Rolle spielen könnte, wenn Du eigentlich über andere Minderheiten erzählst?

Der Großteil meiner früheren Nachbarn in dem Gebäude kam aus Eritrea. Als ich nach Schauspieler:innen aus der Community gesucht habe, konnte mir das Holot Theater weiterhelfen. Diese Theatergruppe wurde in einem Auffanglager für Immigrant:innen (die meisten davon stammen aus dem Sudan und Eritrea) inmitten der israelischen Wüste gegründet. Die Schauspieler:innen nutzen ihre persönlichen Geschichten und traumatischen Erfahrungen, die sie auf der Flucht vor ihren furchtbaren Lebensumständen gemacht haben, für ihre Stücke. Ich habe versucht, sie nicht zu sehr zu inszenieren oder ihnen die Dialoge zu sehr vorzuschreiben. Die meisten Szenen im Film sind improvisiert. Ich habe sehr auf ihre persönlichen Einschätzungen der Situationen und ihr Talent gebaut.
Im Film gibt es eine direkte Referenz zu der Tortur, die Immigranten aus dem Sudan und Eritrea erleben, wenn sie die Wüste Sinai durchqueren und auf dem Weg zur israelisch-ägyptischen Grenze brutal gefoltert werden. Im Vergleich dazu erleben die beiden Protagonist:innen einen perfekten Urlaub in dieser Region. Das Paradies der einen kann ganz schnell zur Hölle für die anderen werden.
Der israelisch-palästinensische Konflikt ist sehr präsent im Film, denn die Hauptfiguren haben die besondere Fähigkeit, die Gewalt vor ihrer Tür zu verdrängen und zur gleichen Zeit ihre aufblühende queere Community und ihren Liberalismus abzufeiern. So gesehen ist der Film ein Kommentar zum „Pink-Washing“, das Israel bewunderswert beherrscht.

Credits

Crew

Buch & Regie

Idan Haguel

Kamera

Guy Sahaf

Schnitt

Shauly Melamed

Co-Schnitt

Mattan Kedem, Gil Vesely

Musik

Zoe Polanski

Sounddesign

Erez Eyni Shavit

Setdesign

Shaked Naor

Colorist

Tomer Bahat

Produzenten

Idan Haguel, Gil Sima, Binyamin Gurevitch, Itay Akirav

Cast

Ben

Shlomi Bertonov

Raz

Ariel Wolf

präsentiert von The Yehoshua Rabinovich Foundation, Israel Cinema Project und m-appeal
im Verleih von Salzgeber