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Jenseits der Mauern

ein Film von David Lambert

Belgien / Kanada / Frankreich 2012, 98 Minuten, französische Originalfassung mit deutschen Untertiteln

FSK 16

Kinostart: 28. März 2013

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Jenseits der Mauern

Als sich Kellner Ilir den betrunkenen Kneipengast Paulo ins Bett legt, weiß er noch nicht, wen er sich da in sein Leben geholt hat. Schon wenig später gibt der anhängliche Paulo Freundin und früheres Leben auf und steht bei Ilir auf der Matte. Eine Romanze beginnt, zärtlich, leidenschaftlich und verspielt. Aber an dem Tag, an dem sie beschließen, für immer zusammen zu bleiben, verlässt Ilir die Stadt und kehrt nicht mehr zurück.

David Lamberts Debütspielfilm zog bei seiner Uraufführung in der Semaine de la Critique in Cannes viel Aufmerksamkeit auf sich und steht in einer Reihe mit weitere Vertretern des New-Wave Queer Cinema wie „Weekend“ oder „Keep the Lights On“.

Trailer

Interview
Im Gespräch mit David Lambert

Inwieweit ist die Handlung von „Jenseits der Mauern“ autobiografisch?

Vieles darin basiert auf eigenen Erlebnissen. Wie Paulo habe auch ich eine Beziehung mit jemandem geführt, der im Gefängnis saß. Aber im Drehbuch ist aus den autobiografischen Elemente wie der etwas ganz Eigenes geworden, ich habe ganze drei Beziehungen darin verarbeitet, aus der Handlung ein klassisch dreiaktiges Drama gemacht, vieles der Narration unterworfen. Obwohl – man müsste es eigentlich anders herum formulieren: ich habe eine Geschichte geschrieben und sie mit Leben gefüllt – mit Dingen, die ich kannte oder dem Leben abgeschaut hatte.

Obwohl das Buch sehr komplex ist, Szenen sich auf andere beziehen, Bilder und Metaphern entwickelt und für bestimmte Standards einer gefilmten Liebesgeschichte neue Variationen gefunden werden, wirken die Dialoge oft sehr spontan und improvisiert. Wie haben Sie mit den Darstellern gearbeitet?

Ich habe ihnen gesagt, dass die Dialoge nicht von Shakespeare sind. Sie konnten verändert, angepasst, ergänzt oder ignoriert werden. Ich verstehe mein Team nicht als eine Gruppe von Ausführenden, sie sollen kreativ sein, sich einbringen. Nur in bestimmten Szenen, wo ich etwas ganz Bestimmtes einfangen wollte, war alles festgelegt: die Momente im Besucherraum des Gefängnisses zum Beispiel.

Was war Ihnen daran wichtig?

Ich finde diese Szenen in anderen Filmen meistens völlig falsch. Wenn man eine halbe Stunde in der Woche hat, um einen geliebten Menschen zu sehen, funktioniert meist gar nichts: man schweigt sich an, man missversteht sich, ein offenes Gespräch ist nicht möglich, nichts Wichtiges kann ausgesprochen werden. All das erzeugt eine enorme Wut, man spürt, wenn man sich sieht, umso deutlicher, dass man getrennt ist. Dazu kommt, dass es ein Riesenaufwand ist, jemanden im Gefängnis zu besuchen: die Hinfahrt, das Warten, die Kontrollen – ich war manchmal sechs Stunden unterwegs, man muss das Leben darum herum planen… In Cannes hat eine Kritikerin meinen Film mit den „Regenschirmen von Cherbourg“ verglichen, als Geschichte einer Liebe, die romantisch anfängt, die nach einer erzwungen Trennung aber nicht mehr gerettet werden kann. Genau wie der Algerienkrieg bei Demy nicht gezeigt wird, spart mein Film die Szenen im Gefängnis aus – eben von den Besuchen abgesehen.

Wie haben Sie die beiden Darsteller gefunden?

Im Prinzip durch ein normales Casting. Beide hatten sich beworben bzw. wurden von ihren Agenturen vorbeigeschickt. Allerdings hatte ich für beide die Rolle des Paulo im Auge. Der andere sollte einen Mann aus Kamerun darstellen – doch wir fanden niemanden afrikanischer Herkunft, der eine schwule Rolle übernehmen wollte, und die, die schließlich doch dazu bereit waren, gefielen mir als Schauspieler nicht. Als Guillaume und Matila am gleichen Tag für den Paulo vorsprachen, machte es Klick bei mir und ich schrieb die Rolle des Ilir für Guillaume Gioux um. Aber auch Paulo ist durch Matila völlig neu definiert worden.

Würden Sie sagen, dass der Film eine spezifisch schwule Geschichte erzählt oder ist sie universell lesbar?

Naja, abgesehen davon, dass ich mich mit der Liebe zwischen Männern besser auskenne und die Geschichte mit eigenen Erfahrungen oder Beobachtungen aufgefüllt habe, ist es in erster Linie eine archetypische Liebesgeschichte. Sie könnte auch in einer anderen Konstellation erzählt werden und sie hat in ihrer jetzigen Form nichts Unverständliches oder Exklusives. Zwei Menschen treffen sich, begehren sich, kommen zusammen, entwerfen ein Leben zu zweit, dann gibt es Komplikationen, sie wachen auf, versuchen, zu retten, was zu retten ist und gehen am Ende eben weiter. Was die beiden Figuren aber im Detail miteinander machen, wie sie sich aufeinander beziehen, welche Sprache sie miteinander entwickeln, das ist völlig spezifisch und einzigartig.

Dafür findet der Film ja viele originelle Szenen, die sich oft auch auf das Kino selbst beziehen…

Ja, eine wichtige Szene in der Phase des sich Verliebens findet ja in einem Kino statt: Ilir betrachtet den in einen Film versunkenen Stummfilmpianisten Paulo, der für ihn quasi Teil des Films wird. Das ist mir sehr wichtig: zu zeigen, dass das Leben, die Beziehungen, Identitäten immer auch Fiktionen brauchen. Man macht sich für andere und für sich zu einer Kinofigur, man tritt ins Licht und aus dem Licht heraus, man will eine Figur werden, man probiert Kostüme aus (so wie Paulo im letzten Drittel) usw. Auf der anderen Seite versucht der Film ja auch, die Beziehung, die Geschichte, zu reflektieren. Beim ersten Kuss gibt es einen Zoom auf die beiden Hauptfiguren, im letzten Akt einen Zoom von beiden weg. Das klang im Buch furchtbar konstruiert und mein Kameramann hat aufgestöhnt und die Augen verdreht, als er das gelesen hat, aber tatsächlich funktioniert das im Film sehr gut, weil man sich in diesem Moment buchstäblich ein Bild davon macht, was sich in der Beziehung der beiden verändert.

Es scheint fast, als sei der Film Teil einer „neuen Welle“ im queeren Kino, in der es plötzlich um erwachsene und in Ihrem Sinne spezifische nicht-heterosexuelle Geschichten geht, die ihr So-Sein in der heutigen Welt reflektieren, gleichzeitig aber auch sehr offen, fast beiläufig erzählt sind…

Ja, „Jenseits der Mauern“ wurde schon in Cannes mit „Weekend“ oder „Keep the Lights On“ verglichen, obwohl ich beide Filme zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesehen hatte. Insofern stellt sich der Film nicht von sich aus in diese Reihe, aber ich sehe auch die Ähnlichkeiten und glaube auch, dass hier etwas Neues entsteht. Schwulsein ist hier nicht mehr das Thema, es geht nicht darum, Identität zu erzählen – aber es ist notwendiger Bestandteil des Narrativs, es gehört unbedingt zur Geschichte dazu. Das ist eine neue Entwicklung in der Form und in den Inhalten, wie wir ‚unsere Geschichten’ erzählen.

Interview: Jan Künemund

Biografien

Der belgische Drehbuchautor und Regisseur DAVID LAMBERT (Buch & Regie), Jahrgang 1974, realisierte 2009 seine ersten Kurzfilme. Mit dem schwulen Liebesfilm „Jenseits der Mauern“ gab er 2012 sein Langfilmdebüt, wofür er in Cannes im Rahmen der Semaine de la Critique mit dem Grand Golden Rail Award ausgezeichnet wurde. Der Film lief erfolgreich auch zahlreichen internationalen Festivals. Als Autor war Lambert an Delphine Noels’ „Post partum“ (2013) und an Guillaume Senez’ „Keeper“ (2015) beteiligt. 2014 folgte sein zweiter Spielfilm „Für immer dein“ mit dem argentinischen Ausnahmeschauspieler Nahuel Perez Biscayart („120 BPM“), der für seine Leistung den Darstellerpreis auf dem Filmfestival Karlovy Váry erhielt. 2018 drehte Lambert die Tragikomödie „Troisièmes noces“.

MATILA MALLIARAKIS (Paulo), geboren 1986 in Galey, Frankreich. Besuch der
Nationalen Schauspielschule in Paris (CNSAD) bis 2010. Auftritte an Theatern, in TV-Nebenrollen, in kleinen Kinoproduktionen (u.a. in Luc Bessons „Les aventures extraordinaires d’Adèle Blanc-Sec“, dt. „Adele und das Geheimnis des Pharaohs“, 2010). Hauptrolle in dem Kurzfilm „Le Baiser“ („Der Kuss“, Regie: Julien Eger, 2007). In „Jenseits der Mauern“ spielt Malliarakis seine erste Hauptrolle in einem Kinospielfilm und gewann damit sowohl den Darstellerpreis des Pariser Festivals „Chéries-Chéris“ (zus. m. Guillaume Gouix), des Internationalen Filmfestivals von Dieppe und – als beste Nachwuchshoffnung – den Prix Jean-Claude Jean (ebenfalls in Dieppe).

GUILLAUME GOUIX (Ilir), geboren 1983 in Aix-en-Provence. Schauspielstudium am Konservatorium in Marseille, anschließend in Cannes. 1998 Debüt in der TV-Miniserie „Marseille“, zwei Jahre später erste Kinorolle in „Deuxième quinzaine de juillet“ (Regie: Christophe Reichert), erste Hauptrolle anschließend im TV-Drama „Dérives“ (2001). Seitdem kontinuierliche Arbeit für TV und Kino, u.a. in „Des Epaules solides“(„Die Sprinterin“, Ursula Meier, 2003), „Chacun sa nuit“ (Pascal Arnold / Jean-Marc Barr, 2006), „Belle Epine“ (Rebecca Zlotowski, 2010), „Copacabana“ (Marc Fitoussi, 2010), „Poupoupidou“ („Who killed Marilyn?“, Gérald Hustache-Mathieu, 2010), „Jimmy Rivière“ (Teddy Lussi-Modeste, 2011 – César-Nominierung als Bester Nachwuchsdarsteller), „Midnight in Paris“ (Woody Allen, 2012) und „Mobile Home“ (Francois Pirot, 2012). Zusammen mit Matila Malliarakis erhielt er auf dem Pariser „Chéris-Chéries“-Festival den Darstellerpreis. Guoix’ eigenes Kurzfilm „Alexis Ivanovitch vous êtes mon héro“ erhielt 2011 in Cannes eine Besondere Erwähnung beim Kodak Short Film Award.

Credits

Crew

Buch & Regie

David Lambert

Kamera

Matthieu Poirot Delpech

Montage

Hélène Girard

Ton

Jean-Sébastien Roy, Quentin Colette, Benoit Biral, Patrick Hubart

Musik

Valleys

Setdesign

Sebastien Autphenne

Kostümdesign

Sabine Zappitelli

Produzenten

Jean-Yves Roubin, Daniel Morin

Cast

Ilir

Guillaume Gouix

Paulo

Matila Malliarakis

Grégoire

David Salles

Anka

Mélissa Désormeaux-Poulin

eine Produktion von Frakas Productions, Boréal Films, Les Productions Balthazar

im Verleih von Salzgeber

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