ein Film von Guðmundur Arnar Guðmundsson
Island/Dänemark/Schweden/Niederlande/ Tschechien 2022, 123 Minuten, isländische Originalfassung mit deutschen Untertiteln
FSK 16
Kinostart: 10. November 2022
Ein Küstenstädtchen in Island. Addi ist 14 und streunt mit seinen Kumpels Siggi und Konni durch die Straßen. Der schüchterne Balli ist der Neue in der Gang, in der es eine klare Rangordnung gibt. Zusammen proben sie ihren Mut, naschen Pilze, betrinken sich und gehen spätnachts im Freibad schwimmen. Doch Aggressionen und Gewalt sind stets nur einen Lidschlag entfernt – vor allem bei Konni, den alle nur „das Tier“ nennen. Und dann träumt Addi, dass etwas Furchtbares passieren wird …
Vier Jungs, die ihren Weg suchen und sich dabei wie Ringkämpfer ineinander verhaken. Bildgewaltig und voller Empathie erzählt Guðmundur Arnar Guðmundsson („Herzstein“) von einer jugendlichen Welt, in der kaputte Familien, Verwahrlosung und Schlägereien ebenso alltäglich sind wie magische Vorahnungen, Poesie und Hoffnung. Ein zugleich schmerzhafter und zärtlicher Film über die Frage, was Freundschaft ist.
Als ich nach Ideen für meinen zweiten Spielfilm gesucht habe, wurde ich immer wieder von bestimmten Träumen heimgesucht, bis ich schließlich anfing, diese Geschichte aufzuschreiben.
Ich und meine Kindheitsfreunde kommen aus gewöhnlichen Arbeiterfamilien. Gleichzeitig fühlte sich unsere Welt einzigartig an: der sarkastische Humor, das brutale Verhalten – und Eltern, die ihr eigenes Leben nicht wirklich im Griff zu haben schienen. Hinzu kam in meiner Familie der Glaube an bedeutungsvolle Träume und an übernatürliche Sinneswahrnehmung.
„Beautiful Beings“ bringt diese Elemente zusammen. Es ist eine Geschichte über Freundschaft, voll von jugendlicher Energie, Hoffnung und Gefühlen der Verwirrung. Es geht um eine Gruppe von Jungs, die sich irgendwie unerwünscht fühlen, aber untereinander Unterstützung finden.
„Beautiful Beings“ wirft die Fragen auf: Was ist wahre Freundschaft? Können Jungs, die ein schlechter Einfluss zu sein scheinen, dennoch gute Freunde sein? Und wie lässt sich der eigene Weg finden? Wie wichtig ist es, auf die eigene Intuition zu hören?
Als Filmemacher ist es meine Hoffnung, dem Publikum ein authentisches Gefühl dafür zu geben, wie es ist, ein Teenager zu sein. Es soll die Welt der Jungs so erleben, als sei es mit ihnen dort. Ich liebe die visuellen und poetischen Aspekte des Mediums Film. Ich glaube fest an den Einfluss von Geschichten, die wir erzählen. Ich habe mit dem Filmemachen angefangen, weil ich Menschen bewegen und ihre Sinne bereichern wollte – so wie es viele große Filme bei mir getan haben. Ich hoffe, dass „Beautiful Beings“ das für einige erreichen kann, mit einer Geschichte über Freundschaft, die Bedeutung von Vorbildern, Selbstakzeptanz und Intuition.
Wie Dein erster Spielfilm „Herzstein“ beweist, hast Du keine Angst davor, mit sehr jungen Schauspielern zu arbeiten. Was interessiert Dich daran?
Ich habe mich schon immer für Geschichten über Kinder und junge Erwachsene interessiert, schon als ich meine ersten Kurzfilme gemacht habe, darunter „Whale Valley“. Meine Protagonisten waren immer jung, sie sind Kinder oder Jugendliche. Ich glaube, es liegt hauptsächlich daran, dass ich selbst eine sehr bewegte und turbulente Kindheit hatte.
In dieser Phase ist man im Grunde in seiner eigenen Welt – Erwachsene haben da einfach keinen Zutritt. Sie können hineinschauen, aber sie können nie das ganze Bild sehen. Und als Kind blickt man wiederum von außen auf die Welt der Erwachsenen. Man bewegt sich zwischen diesen beiden sehr unterschiedlichen Realitäten. Ich war mir dessen als Kind sehr bewusst. Erwachsene hatten nur wenig Verständnis dafür, was im Leben von uns Kindern vor sich ging. Sie meinten immer: „Du bist noch ein Kind; es ist nicht so ernst.“ Aber für uns war es das. Irgendetwas zieht mich zurück in diese Zeit, wenn ich schreibe, zu der Art, wie ich damals gedacht und gesprochen habe. Es macht tatsächlich viel Spaß. Bei den Dreharbeiten muss ich mich dann daran erinnern, diese Perspektive beizubehalten, die Dinge also immer so zu sehen, wie ein Teenager es tun würde. Es ist so eine wichtige Phase im Leben – man empfindet all diese großen Emotionen, oft zum ersten Mal. Man lernt, sich dem Leben zu stellen, sowohl dem Guten als auch dem Schlechten.
Wie arbeitest Du mit den Schauspielern, wenn die Dreharbeiten begonnen haben?
Als ich „Herzstein“ gemacht habe, hat sich einer der Jungs der Rolle wie ein Method Actor genähert. Er wurde einfach zu dieser Figur. Es war ein bisschen unheimlich, das mitanzusehen. Wir mussten ihm helfen, wieder er selbst zu sein. Deshalb habe ich diesmal wirklich aufgepasst. Ich habe darauf geachtet, dass sich die Schauspieler nicht wie ihre Figuren benahmen, wenn wir nicht drehten. Dass sie sich nicht gegenseitig grausame Streiche spielten. Wir mussten diese Welten auseinanderhalten.
Beim ersten Treffen ziehen Kinder immer eine Show ab. Sie reden so, wie sie denken, dass man es will. Ich ermutige meine Schauspieler, sie selbst zu sein. Ich gestatte ihnen, Teenager zu sein, auch vor der Kamera. Es ist eine interessante Erfahrung, denn gleichzeitig muss man sich wie ein Schuldirektor verhalten und sagen: „Hey, benimm dich… Hör auf damit.“ Es gibt Raum für Improvisation, aber nicht so sehr, wenn es um das geschriebene Wort geht – es ist alles im Skript angelegt und jede Szene hat ihren Zweck. Die Schauspieler hatten die Freiheit zu entscheiden, wie sie reagieren und ihre Körper einsetzen, sie konnten sich frei bewegen und Spaß mit der Szene haben. Auf diese Weise konnten sie immer etwas Neues machen und sich gegenseitig überraschen.
In diesem Alter ist man so verletzlich. Einige der Figuren hier sind sehr komplex, etwa ein gemobbter Junge, der in der Schule und zu Hause Probleme hat.
Ich und der Schauspieler [Áskell Einar Palmason] haben viel über diese Figur gesprochen. Im echten Leben ist er tatsächlich ziemlich gesprächig. Zunächst war er besorgt, was die Leute denken werden. Er meinte: „Alle werden sagen, dass ich auch so bin“ Dann haben wir über solche Kinder und deren Situation gesprochen und er hat die Bedeutung dieser Rolle erkannt. Wenn ich Kinder caste, ist es wichtig, die zu finden, die eine gute innere Balance haben. In einem Film wie diesem mitzuspielen, ist
ein extremes Erlebnis, es geht viel Druck damit einher und fordert sämtliche Energie. Man muss damit umgehen können, und ein unterstützendes Umfeld ist dabei ganz wichtig.
Wie ist Deine Herangehensweise bei sexuellen Szenen, gerade in Anbetracht des Alters der Figuren?
Ich war froh, dass wir mit einer Intimitätskoordinatorin gearbeitet haben. Dank ihrer Technik haben sich die Schauspieler nie vorgeführt gefühlt – und das finde ich großartig. Es ist noch eine neue Sache, aber es fühlt sich so an, als hätte es das schon immer geben sollen. Man nähert sich diesen Szenen wie einer Choreografie. Man geht alles genau durch, Bewegung für Bewegung. Die Schauspieler erklären, was sie tun werden und wie ihre Reaktion sein wird. Sehr technisch. Man redet darüber, um sicherzugehen, dass sich niemand unwohl fühlt. Es gibt kein Überraschungsmoment. Wenn man dann tatsächlich dreht, kennen die Schauspieler bereits jeden Schritt. Und sie sind nicht gezwungen, die Szene immer und immer wieder zu wiederholen, was an sich auch ziemlich traumatisch sein kann.
In Deinen Geschichten steckt immer ein bisschen Grausamkeit: Schmerz, Enttäuschung… Und die Erwachsenen erscheinen entweder völlig gleichgültig oder unfähig, zu helfen.
Ich versuche einfach, es so zu machen, wie ich die Dinge erlebt habe. Gleichzeitig habe ich aber auch viel Schönes und Humorvolles erlebt. Und auch das kommt in meinen Filmen vor. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, wenn man diese Jungs oder Männer sieht, die aggressiv sind oder
Anzeichen von „toxischer Männlichkeit“ zeigen, dass es einen Grund für ihr Verhalten gibt. Sie werden nicht so geboren. Sie mussten sich nur mit einigen Problemen befassen, mit denen sie sich nicht hätten befassen sollen. Und jetzt agieren sie das aus. Als ich ein junger Mann war, hatte ich noch Angst davor, auf solche Gruppen von 16-Jährigen zu treffen. Ich habe mich daran erinnert, wie gefährlich wir in diesem Alter waren.
Es gibt auch ein übernatürliches Element in „Beautiful Beings“, das ziemlich überraschend ist. Wie wolltest Du das etablieren?
In Island ist das ein Teil unserer Kultur. Wir reden über Träume, insbesondere mit Menschen, die uns am nächsten stehen, und viele glauben an Wahrsagerei. Es gilt als normal. Wenn man anfängt, mit Leuten darüber zu reden, werden alle immer jemanden kennen, der zum Beispiel aus dem Kaffeesatz lesen kann. Es gilt nicht als „New Age“ oder Hippie-Kram – wir haben CEOs von großen Unternehmen, die genau das tun, es nur etwas privater halten.
Ich erinnere mich, dass meine Eltern sehr viel dafür übrig hatten. Sie haben wirklich an diese Dinge geglaubt. Als Teenager dachte ich, das sei verrückt. Ich kam erst später darauf zurück. Ich fing an, auf meine Träume zu achten und auf meine Intuition zu hören. Jetzt ist es auch ein Teil meines Lebens. Dank meiner Träume weiß ich Dinge, die ich sonst nicht gewusst hätte.
Es ging mir darum, subtil damit umzugehen. Subtil genug, um nicht die ganze Geschichte damit zu übernehmen; es sollte aber immer noch ein wichtiges Element im Leben der Protagonisten sein. Diese Balance musste ich finden. In manchen Filmen sieht man das, zum Beispiel in Alejandro González Iñárritus „Biutiful“. Wie er das umgesetzt hat, fand ich erstaunlich – damit konnte ich mich wirklich identifizieren. Es wurde auf diese sehr alltägliche, natürliche Weise gemacht. Außerdem war ich schon immer ein Fan von „Die Sopranos“. Und wenn ich mir diese Serie jetzt anschaue, merke ich, dass der Protagonist oft von Dingen träumt, die passieren werden. Der Typ, der das geschrieben hat, muss das selbst erlebt haben. Diese Dinge passieren sehr oft – wir sprechen einfach nicht gerne darüber, weil es als seltsam angesehen wird. Aber es passiert in jeder Familie – so ist zumindest meine Theorie.
Glaubst Du, dass Du das Leben von Kindern und Jugendlichen noch weiter erforschen willst? Oder könntest Du nach diesem Film damit abgeschlossen haben?
Es gibt noch Geschichten, die ich erzählen möchte. Ich mag einfach Geschichten über Kinder oder junge Erwachsene so sehr – ich weiß nicht wirklich warum. Vielleicht ändert sich das, wenn ich älter werde? Was ich aber mit Sicherheit weiß, ist, dass ich beim nächsten Mal ein Märchen machen möchte. Mit Kindern. Ich konnte mich, als ich jünger war, völlig in Märchen verlieren und vermisse diese Art Filme sehr.
Das Publikum ist es bei isländischen Filmen gewohnt, die majestätische Natur zu sehen. Aber bei Deinem Film sind wir auch sehr nah an den Figuren, in der Privatsphäre ihrer Häuser. War das eine bewusste Entscheidung?
Würde die Geschichte in einem kleinen Dorf spielen, ließe sich die Natur nicht vermeiden: Sie ist groß und einfach ein Teil des Umfelds. Aber „Beautiful Beings“ spielt in einer Stadt, auch wenn es wahrscheinlich nicht so aussieht – denn selbst Reykjavík fühlt sich an wie ein kleines Dorf. Ich wollte es für diese Kinder und für das Gefühl, dort aufzuwachsen, möglichst real halten. Ich lege auch Wert auf kleine Details und zeige die sich ständig verändernde, intime Dynamik zwischen Menschen. Die Story wird auf subtile Weise durch Blicke und Gesten vorangetrieben, das baut auf natürliche Weise Spannung auf.
Sturla Brandth Grøvlen, der Kameramann meiner beiden Filme, ist einer meiner wichtigsten Kollaborateure. Wir erarbeiten zusammen, wie man die Figuren aufnimmt, wie man den Film dreht, damit das Publikum das Gefühl hat, dort mit den Figuren zu sein. Sturla ist auf vielen Ebenen ein einzigartiger Kollaborateur, er teilt mir zu allem seine Meinung mit – sei es zum Skript, zu den Kindern, zum Schauspiel.
Aber um die Frage vielleicht noch einfacher zu beantworten: Was mich interessiert, ist menschliches Verhalten. Es gibt keinen einzigen Moment im Film, in dem nicht etwas Wichtiges passiert. Auch wenn die Figuren nur in einem Raum rumzuhängen scheinen, ist das ein wichtiger Teil der Geschichte, der zu etwas führt, was sich später offenbaren wird.
(Das Interview wurde geführt von Marta Bałaga.)
GUÐMUNDUR ARNAR GUÐMUNDSSON (Regie & Buch) geboren 1982 in Reykjavik, hat Kunst und Drehbuch studiert. Bereits seine beiden Kurzfilmen „Whale Valley“ und „Artun“ wurden auf Festivals weltweit gezeigt und ausgezeichnet. Sein Spielfilmdebüt „Herzstein“ wurde in Venedig 2016 mit dem Queer Lion ausgezeichnet und erhielt über 50 weitere Preise. Sein zweiter Spielfilm „Beautiful Beings“ wurde im Panorama der Berlinale uraufgeführt und ist Teil der Vorauswahl für den Europäischen Filmpreis 2022.
Filmografie (Auswahl):2013
„Whale Valley“ (KF)
2014
„Artun“ (KF)
2016
„Herzstein“
2022
„Beautiful Beings“
Regie & Buch
Guðmundur Arnar Guðmundsson
Kamera
Sturla Brandth Grøvlen
Schnitt
Andri Steinn Guðjónsson & Anders Skov
Produktionsdesign
Hulda Helgadóttir
Kostümdesign
Helga Rós Hannam
Hair & Make-up
Kristín Júlla Kristjánsdóttir
Sound Design
Jan Schermer
Musik
Kristian Eidnes Andersen
Produzent
Anton Máni Svansson
Koproduzent:innen
Lise Orheim Stender, Jesper Morthorst, Nima Yousefi, Peter Possne, Caroline Ljungberg, Linda Van Der Herberg, Jeroen Beker, Pavel Strnad
Ausführende Produzent:innen
Guðmundur Arnar Guðmundsson, Birgitta Björnsdóttir
Addi
Birgir Dagur Bjarkason
Balli
Áskell Einar Pálmason
Konni
Viktor Benóný Benediktsson
Siggi
Snorri Rafn Frímannsson
Guðrún
Aníta Briem
Hulda
Ísgerður Gunnarsdóttir
Svenni
Ólafur Darri Ólafsson
Eine Produktion von Join Motion Pictures
In Koproduktion mit Motor, Hobab, Film I Väst, Bastide Films, Negativ
Mit Unterstützung von Icelandic Film Centre, Eurimages, Danish Film Institute, Icelandic Ministry of Industries and Innovation, Nederlands Film Fund, Czech Film Fund, Swedish Film Institute, Nordisk Film & TV Fond, Netherlands Film Production Incentive
Im Verleih von Salzgeber