ein Film von Martin Gressmann
Deutschland 2021, 110 Minuten, mehrsprachige Originalfassung, teilweise mit deutschen Untertiteln
FSK 12
Kinostart: 13.10.2022
Immer weiterlaufen, um mit dem Leben davonzukommen… Anfang 1945 werden überall dort, wo die Front in die Nähe der Konzentrationslager kommt, Gefangene Richtung Westen getrieben. Häftlinge aus den Lagern Sachsenhausen und Ravensbrück müssen bis zu 250 Kilometer marschieren. Anfang Mai werden die Überlebenden der Tortur in Raben Steinfeld bei Schwerin, in Ludwigslust, in Plau am See und noch weiter nördlich von der Roten Armee und der US-Armee befreit.
Über sieben Jahrzehnte später folgt Regisseur Martin Gressmann („Das Gelände“) den Hauptrouten der Todesmärsche durch Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, an denen heute 200 Gedenktafeln stehen. In seinem Film „Nicht verRecken“ lässt er die letzten, heute hochbetagten Zeugen zu Wort kommen. Einige von ihnen sprechen zum ersten Mal darüber. Sie erinnern sich an ein Grauen, das nicht verschwindet. Wie weit muss man zurückschauen, um zu verstehen, wie stark das Vergangene mit dem Heutigen verknüpft ist?
Für seine vielschichtige Spurensuche wurde Martin Gressmann auf der Duisburger Filmwoche mit dem Publikumspreis der Rheinischen Post ausgezeichnet.
Um das Jahr 2000 suchte ich mit Freunden ein Haus in der ländlichen Umgebung von Berlin. Nach zwei Jahren fanden wir einen ehemaligen Bauernhof und begannen mit der Renovierung. In den Ortskernen der Umgebung waren Emaille-Schilder aus DDR-Zeiten an Mauern und Sockeln befestigt: „Todesmarsch April 1945“ – mit rotem KZ-Dreieck, einfacher Karte mit Routenverlauf und einer leicht abstrahierten Reihe von kahl geschorenen Häftlingen. Manchmal waren Blümchen davor gepflanzt, manchmal stand da nur eine leere Vase. Irgendwann habe ich mir die Frage gestellt, ob diese Todesmärsche auch an unserem Haus vorbeigekommen sind.
Zu diesem Zeitpunkt hätte ich mich als jemanden bezeichnet, der über die Geschichte des Dritten Reichs, des Holocaust und der europäischen Situation am Ende des Krieges halbwegs Bescheid weiß. Doch in den folgenden Jahren wurde mir klar, dass ich nur sehr wenig von der Lage am Kriegsende rund um die Auflösung der im deutschen Kernland befindlichen Konzentrationslager und die sogenannten „Endphasenverbrechen“ gewusst habe. Hunderte Male bin ich über die Jahre an dem großen Schild „Gedenkstätte Sachsenhausen: 10 km“ vorbeigefahren, ohne abzubiegen.
Ich wusste nichts von den Versuchen der SS-Organisationen und ihren Führern, erprobte Strukturen der europäischen KZ ins „Mobile“ zu übertragen. Ich hatte mir nie vorstellen wollen, wie groß die Anzahl der Flüchtlinge aus dem Osten und aus den bombardierten Großstädten im ländlichen Brandenburg war. Jedes Gut, jede Fabrik, jede Manufaktur und jeder Bauernhof hatten ihre französischen, polnischen, ukrainischen und russischen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, die praktisch die deutsche Kriegswirtschaft am Laufen hielten.
Auch die Gleichzeitigkeit des militärischen Rückzugs der Wehrmacht und SS-Truppen sowie der militärischen und propagandistischen Verteidigung durch andere NS-Organisationen wie HJ, Volkssturm, Polizei, Feuerwehr, Reichsbahn, NS-Ortsführer, Ortsbauernführer mit den durchziehenden Todesmärschen war schwer vorstellbar. Zwischen der Westfront der Briten und Amerikaner und der Ostfront der Russen und Polen wurden diese 40.000 bis 50.000 KZ-Häftlinge, Zeugen des Holocaust und des Vernichtungskrieges, als lebender Faustpfand ohne Verpflegung durchgeschoben.
Die Läufer der Todesmärsche kamen aus fast allen europäischen Ländern, den besetzten und unbesetzten. Es war mir unbekannt, wieviele europäische Ausländer der besetzten und verbündeten Länder auch auf Seite des Reichs und in den Reihen der SS bis zum Ende kämpften. Das Nachbardorf wurde von rumänischen SS verteidigt. Von Rumänen, nicht von ethnischen Deutschen aus Siebenbürgen. Dort, im Gebiet nebenan, waren auch die Ausbildungslager der ROA, der russischen Wlassow-Armee, die auf deutscher Seite bis in das nördliche Ruppiner Land mitkämpfte. Ein Europa im Kleinen, auf den flachen Äckern und Wäldern Brandenburgs und Mecklenburgs.
Im Frühjahr 2015 las ich in der Zeitung von Überlebenden der Todesmärsche, die wahrscheinlich noch ein letztes Mal zu den Brandenburger Gedenkveranstaltungen kommen würden, und löste spontan einen Interview-Auftrag für den befreundeten Kameramann Volker Gläser und seine russisch sprechende Ehefrau Elena Shatkovskaia aus. Die beiden meinten danach, dass die betagten Zeitzeugen gar nicht aufgehört hätten, zu erzählen, und sie jedes Mal auch über „das ganze Leben davor und danach“ gesprochen hätten und dass „besonders die Überlebenden aus dem ehemaligen Ostblock keinen Unterschied zwischen der Nazizeit und den Zeiten danach“ machten.
Im fertigen Film sehen wir fast nur ältere Menschen, und bei den Überlebenden der Todesmärsche sind keine Frauen dabei. Das liegt auch daran, dass nur wenige weibliche Häftlinge beim Sachsenhausener Ausmarsch im April dabei waren. Und dass das weiter nördlich gelegene Frauen-KZ Ravensbrück erst eine Woche später, also Ende April geräumt wurde. Strecke und Pensum waren schlichtweg kürzer. Zudem war die Gedenkstätte Ravensbrück in den Jahren der Dreharbeiten in einer Phase der Umstrukturierung und geschlossen. Meiner Information nach sind unter den etwa 45.000 Todesmarschierern etwa 8.000 bis 10.000 Frauen, Mädchen und Kinder gewesen. Jedenfalls haben wir keine weiblichen Häftlinge der Todesmärsche interviewen können und haben deren Präsenz und weitere Wege nicht recherchiert oder verfolgt. Und doch mussten zur Produktionszeit noch einige der weiblichen KZ-Insassinnen und Todesmarschiererinnen in Europa gelebt haben.
Unwillkürlich mussten wir immer wieder über die Gründe und Umstände nachdenken, wieso unsere Gesprächspartner dem vorprogrammierten Tod entgehen konnten. Es fällt schon eine gewisse Härte und Widerständigkeit der Protagonisten auf, manchmal auch militärisches oder technisches Wissen, Common Sense, oft aber auch nur humanitäres Denken, schnelle Auffassungsgabe, schneller Witz und auch eine gute körperliche Kondition. Auch Religiosität und Frömmigkeit, moralische Kategorien und moralisches Denken, vielleicht eine ideologische Festigkeit konnte die Überlebensfähigkeit erhöhen. Deutschkenntnisse gehörten unbedingt dazu. (Deshalb sah es der Hamburger Lehrer und Sozialist Frank Bobzien (1906-1941) als seine Aufgabe an, möglichst vielen Insassen des „Jugendblocks“ in Sachsenhausen die deutsche Sprache beizubringen; einige unsere Filmprotagonisten waren in eben jenem Jugendblock). Und es gibt die vermutlich wesentlichen Faktoren: Zufall und Glück. Heute haben unsere Interviewpartner, diese so furchtbar geprüften Menschen, eine bemerkenswerte Altersgüte und Freundlichkeit gemein.
Zu jeder Geschichte gibt es eine Vorgeschichte und häufig mussten wir diese in der Film-Montage leider unerwähnt lassen oder stark reduzieren, um die schon komplexen Erzählung der letzten Todesmärsche 1945 nicht zu überfrachten. Aber es ist deutlich, dass jemand, der bereits Todesmärsche zwischen Ausschwitz, Bobrek, Gleiwitz, Buchenwald und Sachsenhausen mitgemacht hatte, den allerletzten noch einmal anders erleben würde. Und vor den Evakuierung-Transporten gab es ja die Verhaftung und die Jahre in den Lager-Systemen. Protagonisten hatten beispielsweise bis zur Einlieferung nach Sachsenhausen nur überlebt, indem sie das KZ Stutthof bei Danzig vom ersten gefällten Baum an aufgebaut haben. Oder indem sie die Krematorien und Mordstätten in Birkenau hochgemauert haben – es war die einzige Möglichkeit, um nicht selbst darin ermordet zu werden. Dabei nicht vollkommen abgestumpft und verrückt zu werden, erfordert äußerste Disziplin, Mut und Überlebenswillen. Vielleicht auch einen starken Glauben an eine richtige, gerechte und frohe Weltexistenz außerhalb der Nazi- und Lagerrealität. Wohl deshalb konnten diese von Arbeit ausgemergelten, im besten Fall aber auch kräftig gebliebenen, jungen KZ-Häftlinge ohne jegliches Sicherheitsnetz, nur mit zerlumpten Kleidern, kaputten Schuhen oder auch Stoffresten an den Füßen, Mütze, vielleicht noch Decke, Löffel und Napf, gewissermaßen losgelöst und nackt, vollkommen auf sich reduziert, nur mit Kameradschaftshilfe und unerschütterlichem Glauben die letzte, mörderische Strecke durchhalten. Und dort in der Gegend vor Schwerin, mit 30, 40 Kilo Körpergewicht geschwächt, anzukommen.
Erst nach den Interviews mit den Überlebenden haben wir uns auf die Suche nach ländlichen Beobachtern der Todesmärsche gemacht. Zwar hatten wir mitbekommen, wie die letzten sehr alten Menschen (und Kriegsteilnehmer) im Dorf des eingangs erwähnten Bauernhauses gestorben waren, aber die Suche nach letzten Zeitzeugen lief nur sehr langsam an. In mehreren ländlichen Altersheimen sind wir nicht fündig geworden, weil deren betagte Insassen ohne Ausnahme demenzkrank und/oder starke Pflegefälle waren. Wer auf dem Land noch rüstig und geistig fit ist, bleibt bis zuletzt zuhause. Über Zeitungsannonce und dörfliche Kontakte, auch über befreundete Historikerinnen und Zufall bin ich dann endlich weiterkommen.
Den Beobachtern der Todesmärsche von deutsch-ländlicher Seite gemein ist das damalige Jugendalter zwischen 6 und 14 Jahren, sie waren also etwas jünger als die jüngsten Todesmarschierer. Uns wurde bewusst, wie diese Menschen durch die Kaiserreichswelt mit ihren ostelbischen Gutshöfen und Gutsherren, durch die Weimarer Republik, Nazizeit und DDR und schließlich durch die Nachwende-Bundesrepublik in Ostdeutschland geprägt waren. Im hohen Alter war die Bauerntochter, Jahrgang 1925, immer noch wütend über den vermeintlich undankbaren Abgang des zwangsarbeitenden Knechts mit Gaul zurück nach Polen am Tag nach dem Durchmarsch der Roten Armee. In allen Fällen zogen sich diese Tage Ende April/Anfang Mai 1945 zu einem einzigen Datum zusammen. Die Berichte sind geprägt von Erinnerungen an die Angst vor der Roten Armee, an die halbherzige Verteidigung der abkommandierten Väter und Brüder beim Volkssturm, ans Gräbenausheben und Sprengstoff-an-Brücken-und-Deiche-setzen, an die Hilflosigkeit beim Verstecken und beim „Häßlichmachen“ der Töchter und Mutter vor den russischen Soldaten, an das unerwartete Durchtreiben der Todesmarsch-Häftlinge mit dem charakteristischen Schlurf- und Schleifgeräusch der Holzpantinen und Lumpen. Geprägt aber auch von Erinnerungen an Schuld-/Wut-/Angstgefühle und von der Gewissheit, etwas Verbotenes zu sehen. Auf die Kriegshandlungen und das Eintreffen der Roten Armee folgten die Wirren und der langsame Neubeginn im Nachkriegsdeutschland. Im Herbst gab es wieder Schulunterricht. Ein Zeitenwende-Amalgam, in welchem die Todesmärsche nur eine Nebenrolle spielten. Und doch haben zwei der Zeugen noch nie über Ihre Erinnerung an die Häftlingskolonnen gesprochen, und man kann es Ihnen, als inzwischen alten Menschen, ansehen.
Und dann gibt es noch die Gegenseite, die SS-Wachen und den im gleichen Raum zur selben Zeit irrlichternden Heinrich Himmler mit engsten Stab aus SD und SS. Ab dem 14. März wurde kein Dienstkalender mehr geführt. Mit Hilfe aller mir zugänglichen Quellen, hauptsächlich aber mit den Memoiren von SD-Chef Walter Schellenberg (Moewig, Rastatt,1981) habe ich mir einen Routenkalender bis zum Ende der Todesmärsche erarbeitet, bei dem klar wurde, dass die SS-Spitzen-Wagenkolonne mehrmals die Routen der Todesmarschierer gekreuzt haben müssen. Einen Teil der Strecken sind wir nachgefahren und konnten einige wenig beachtete, nicht hergerichtete Durchgangsorte des Zick-Zack-Kurses von Himmlers letzter Dienstlimousine finden. Mit nur noch wenigen Mitteln, aber mit immer noch großer Macht ausgestattet, versuchte der Massenmörder und zweite Mann im Staat im schmalen Bereich des schwindenden Reichs noch etwas zu erreichen. Eine brutale Groteske – und auch ein Ende.
Im Sommer 2015 war ich zum ersten Mal bei der Gedenkstätte Todesmarsch im Belower Wald, nach 16 Kilometern Buckelpiste durch den Belower Wald nördlich von Wittstock. Und schätzte bald den stillen, einsamen und ungewöhnlichen Ort. An der Landesgrenze Brandenburg und Mecklenburgs gelegen, ein eingezäuntes, einfaches Holzgebäude, ein Parkplatz und eine Freiluftaustellung. Gegenüber eine Stele aus DDR-Zeit mit pathetischer Inschrift, eine Stelle für Blumen, Gestecke und Kränze und drei windschiefe alte Fahnenmasten. Gegenüber die Buchen und Fichten mit den vernarbenden Einritzungen der Häftlinge von Ende April 1945. Auf dem Parkplatz die PKW der Gedenkstättenleiterin Carmen Lange und der Mitarbeiterin Kerstin Zihlmann. Besucherwagen, manchmal ein ausländisches Nummernschild. Große Waldruhe, zwei wissende und wissenschaftlich arbeitende Frauen im Wald mit Bibliothek, kleiner Ausstellung mit gefundenen Häftlingsrelikten wie Löffel oder improvisierter Reibe. Gestreifte Häftlingskleidung zur Anschauung. Die 13 berühmten, heimlich aus der Hüfte geschossenen Schwarz-Weiss-Fotos des Schweizer Rotes-Kreuz-Delegierten Heinrich Landolt, die einzigen Bildbeweise der Todesmärsche von Sachsenhausen. Neben Schulklassen kommen die betagten Nachkommen der Überlebenden zu Besuch. Es kommen Einzelbesucher, Touristen und Menschen aus der Umgebung. Es kommen neugierige Pilzsammler. Die noch lebenden Todesmarschierer sind 96, 98, 99 Jahre alt und können und wollen nicht mehr reisen.
Martin Gressmann erzählt und entdeckt Spuren der Grausamkeit des Reichs-Zusammenbruchs, der auf die entsetzlichen Grausamkeiten der Kriegs-Triumphe notgedrungen folgen musste. Überall Unvorstellbares, was Menschen, „Häftlinge“ ertrugen. Beginnende Rechtfertigungsversuche der Nazibonzen angesichts der unausweichlichen Niederlage und der bevorstehenden Entdeckung ihrer Taten. Tausende von Wandernden durch Brandenburg und Mecklenburg, ohnehin am Ende der Kräfte, angetrieben von SS-Horden mit Peitschen und Hunden, immer auf Nebenstrassen, möglichst ungesehen vorbei an den Dörfern. Wer zurückblieb bekam den Todesschuss. Wo sie kurz lagern durften, da hatten die vorangegangenen Kolonnen bereits das Gras, den Löwenzahn, die Wurzeln vertilgt. Völlig andersartig als die gegenwärtig stereotypen Historien-Dokus der Fernsehsender, ganz ohne Musik, leise, aufmerksam, anteilnehmend geht Gressmann die Strecken entlang, beobachtet, befragt die noch lebenden einstmaligen Häftlinge oder die heute alten Kinder, die damals die elenden Vorbeiziehenden gesehen hatten. Er horcht und blickt auf das Detail, gibt acht auf die Topographien und lässt ahnen. Hier erweckt die Sachlichkeit echtes Gefühl. So sehen Filme aus, die uneitel und geduldig Wahrheit suchen.
KAROL GYDANIETZ, geboren am 6. Dezember 1924 in Tczew (Dërzewò, Dirschau), Polen. Schüler am Gymnasium Gdingen. Am 4. Juni 1940, im Alter von 15 Jahren, Verhaftung durch die Gestapo. Ab Juli 1940 Zwangsarbeit bei dem Aufbau des KZ Stutthof bei Danzig. Februar 1941 Überstellung in das KZ Sachsenhausen, Block 34, dem Jugendblock. Einsatz als Läufer auf der Schuhprüfstrecke. Ende April 1945 Todesmarsch. Befreiung am 4. Mai 1945 in Crivitz, Mecklenburg. Rückkehr nach Tczew im Sommer 1945. Beendigung der Schule, Studium der Forstwirtschaft. Arbeit in der Verwaltung und als Förster in Kaschubien (Polen).
ALEXANDER NESANEL FRIED, geboren am 7. Mai 1925 in Królová (Ukraine). Verhaftung und Inhaftierung in der Slowakei. 1944 Überstellung nach Sachsenhausen mit dem Bruder. Todesmarsch Ende April 1945 bis vor Schwerin. Im Sommer Rückkehr nach Silein, CSSR. 1950 Flucht nach Österreich. 1955 Promotion an der Universität Wien. 1960-64 Kulturdezernent beim Zentralrat der Juden in Deutschland. 1964 Geschichtsprofessur an der ULB in Brüssel, dann Professuren in Halifax, London, Tel Aviv u.a. Um das Jahr 2000 Übersiedlung von Marienbad/Tschechische Republik nach Tirschenreuth in der Oberpfalz.
SIMCHA APPLEBAUM, geboren am 6. Oktober 1927 in Malcz (Pyrzycki) im heutigen Belarus. Im November 1941 wird die Familie nach Bereza Kartus deportiert. Vom Ghetto in Pruzhany flieht er zu jüdisch-sowjetischen Partisanen in die Wälder und unter dramatischen Umständen zurück ins Ghetto Pyrzycki. Anfang 1943 wird die gesamte Familie im Todeslager Birkenau ermordet, er überlebt aufgrund einer Gleisverlegung zum Hauptlager. Aufbau der Krematorien und des Sinti/Roma-Lagers in Birkenau. Ab Januar 1945 Todesmarsch von Auschwitz nach Gleiwitz, KZ Buchenwald, KZ Sachsenhausen. Am 3. Mai bei Schwerin befreit. 1946 Übersiedlung nach Israel. Er kämpfte in allen vier Kriegen bis zum Yom-Kippur-Krieg, zuletzt als Oberst. Mitbegründer des Kibbutz Netzer Sereni, dort Planzen- und Baumzüchter.
ROGER BORDAGE, geboren 1925 in Paris. Kämpft als Gymnasiast 1942 für die Résistance, wird am 13. März 1943 von SD und Vichy-Polizei an der spanischen Grenze gefasst. Über das Lager Compiègne wird er im Mai 1943 ins KZ Sachsenhausen gebracht. Zwangsarbeit im Klinkerwerk und Heinkelwerk. Todesmarsch mit einer Fußverletzung, den er dank der Kameradenhilfe überlebt. Befreiung bei Parchim im Mai 1945. Rückkehr nach Paris, um die Schule zu beenden. Studium der Erziehungswissenschaften. Sachverständiger bei der Unesco für Südamerika, Afrika und Asien. Umzug nach New York und wieder zurück nach Frankreich. Vorsitzender des Sachsenhausen-Komitees ab April 2010.
MARCEL SOUILLEROT, geboren am 9. Juni 1923 in Dijon. Ausbildung zum Feinmechaniker. Verteilt als Mitglied der Kommunistischen Jugend Flugblätter gegen die deutschen Besatzer in Burgund. Wird am 6. Oktober 1941 durch die Vichy-Polizei festgesetzt. Kommt über verschiedene Lager wie Rouillé und Compiègne im Januar 1943 ins KZ Sachsenhausen. Zwangsarbeit im Klinkerwerk und Heinkelwerk. Nach dem Todesmarsch Befreiung durch die Rote Armee in Zabel-Ausbau am 4. Mai 1945. Zurück in Burgund und Arbeit bei der französischen Eisenbahn SNCF, Gewerkschaftler bei der CGT. Zeitzeuge in Schulen und Jugendeinrichtungen Ostfrankreichs. Präsident der Vereinigung der Deportierten und Widerstandskämpfer der Côte-d’Or.
WLADIMIR WOJEWODCHENKO, geboren 1925 in der Ukraine. Wächst dort als Waise auf. Wird Anfang 1942 als „Hilfswilliger“ nach Deutschland gebracht. Aufnahme im Straflager Wuhlheide im April 1942, von dort Flucht bis zur polnischen Grenze, Gefangenenahme und Zuchthaus Spandau. Im Juli 1942 kommt er ins KZ Sachsenhausen, dort in den Jugendblock 34. Einsatz im Kommando Speer, schwere Krankheit und Genesung im Kommando Kartoffelschale in der Lagerküche. Todesmarsch ab 22. April 1945. Befreiung im Wald bei Crivitz durch die Rote Armee. Schwerverwundet im Lazarett der Roten Armee bis zum Herbst 1945. Verhöre des KGB wegen „illegalen Aufenthalts in Deutschland“ im Oktober 1945. Im Januar 1946 Aufnahme eines Studiums in der Flugschule Serpuchow bei Moskau. Im Oktober 1946 wieder KGB-Verhöre und Verurteilung zu drei Jahren Arbeitslager in Piesetzk in der Region Archangelsk. Entlassung nach 1955. Aufnahme eines Jurastudiums. Arbeit in der Flugzeug-Industrie und später, ab 1962, als Kolchose-Vorsitzender.
SERGE DIMITREF, geboren 1922 in Paris. Als Jugendlicher Résistance-Anhänger. Festnahme 1943 in der Nähe von Dax durch die Vichy-Polizei, bei dem Versuch nach Nord-Afrika zu den französischen freien Truppen zu gelangen. Kommt über mehrere französische Lager, auch Compiègne, Ende 1943 in das KZ Sachsenhausen, Block 25. Zwangsarbeit im Klinkerwerk. Todesmarsch ab 22. April 1945. Befreiung in Zabel-Ausbau durch die Rote Armee. Wird in den Adolf Hitler-Kasernen in Schwerin gesund gepflegt. Im Juli 1945 Rückkehr nach Paris zur Familie. Lebt in Südfrankreich.
EDUARD MICHAILOVICH SIMOWEZ, geboren um 1925 in Kiew /Ukraine. Ab 1941 in Deutschland. Bildet im KZ Sachsenhausen in der Baracke 10 mit mehreren jungen Gleichgesinnten eine Widerstandsgruppe. Aufräumarbeiten nach Bombenangriffen der Allierten in Berlin und Oranienburg, auch im Heinkel- Flugzeugwerk. Todesmarsch ab 22. April 1945. Im Sommer 1945 Rückkehr nach Kiew.
GUY CHATAIGNÉ, geboren am 18.Januar 1924 in Haute-Saintonge (Jonzac).1942 Widerstandskämpfer in der Charente Maritime, Gefängnisaufenthalt, auch im Lager Compiègne. Ab dem 25. Januar 1943 im KZ Sachsenhausen. Zwangsarbeit im Klinkerwerk und im Heinkelwerk. Am 21. April 1945 Ausmarsch aus dem Lager. Am 2. Mai, kurz vor Schwerin, „frei ohne befreit worden zu sein“. Eine Woche in der Stadt mit Kameraden in Selbstorganisation. Rückkehr mit Eisenbahnzügen durch Westdeutschland und Belgien. Heimkehr in die Charente über das Hotel Lutecia in Paris und die Vendée. Beendigung der Ausbildung. Im Februar 1946 Anstellung im örtlichen Arbeitsministerium, dort Abschluss als Arbeits- und Sozialbeamter. Heirat 1949. Arbeit in Südfrankreich im Arbeits- und Sozialrechtwesen.
OTTO ERNST REDNER, geboren am 29. März 1909 im Kreis Rosenberg in Westpreußen. Übersiedelung 1925 nach Berlin-Moabit. Tischlerlehre, Arbeitslosigkeit. Anhänger des Roten Frontkämpferbundes. 1933 Verhaftung und Folter in den Gestapo-Gefängnissen Prinz-Albrecht-Str. und Columbia-Haus. Verurteilung wegen Hochverrats zu 15 Jahren Zuchthaus. Am 3. Dezember 1943 Überstellung in das KZ Sachsenhausen. Baracke 59, zeitweilig auch Läufer auf der Schuhprüfstrecke. 1944 Lebensrettung durch seinen Kameraden Emil Gdanitz in der Krankenstation des Lagers. Todesmarsch ab 21. April 1945, befreit Anfang Mai im Wald bei Parchim. Im Sommer 1945 Polizeidienst in Berlin-Charlottenburg. 1952 Übersiedlung in den Ostteil Berlins. Danach Eisenbieger bei dem Bau der Stalinallee, Arbeiter bei dem Zirkus Busch, selbständiger Altstoffhändler und Landwirt.
JOSEF TANDLICH, geboren am 18. April 1930 in Spišské Tomášsovce (Tornsdorf) in der westlichen Slowakei. Im August 1944 inhaftiert im Gefängnis Kežmarok. Von dort nach Auschwitz, weiter in das KZ Ravensbrück und von dort im Februar 1945 in das KZ Sachsenhausen. Ab 22. April Todesmarsch. Ende April im Belower Wald. Schlägt sich mit Bruder und Cousin nach der Befreiung zu Fuß nach Berlin durch. Zurück in der Slowakei beendet er die Schule und bildet sich zum Zahntechniker aus. Emigration nach Israel. Zahnmedizinstudium in Wien. Nach Studienabschluss Rückkehr nach Israel und Arbeit als Zahnarzt.
ZWI STEINITZ, geboren am 1. Juni 1927 in Poznań/Posen. Wird mit den Eltern und dem Bruder gezwungen, vom November 1939 bis 1942 im Krakauer Ghetto zu leben. Dort wird die Familie ermordet. Von Dezember 1942 bis Februar 1944 im KZ Plaszow, dann im KZ Auschwitz. Bei Siemens im Außenlager Bobrek. Von dort im Januar 1945 Todesmarsch Richtung Buchenwald. Über Lager Haselhorst/Berlin zum KZ Sachsenhausen, von dort Todesmarsch ab 21. April 1945. Anfang Mai Befreiung bei Raben Steinfeld nahe Schwerin. Ende Mai 1946 Umzug nach Haifa. Aufbau der Kibbuzim Afikim und Netzer Sereni. Experte für den internationalen Blumengroßhandel aus Israel.
KURZE CHRONOLOGIE DER TODESMÄRSCHE VON SACHSENHAUSEN UND RAVENSBRÜCK
Herbst 1944: Die SS plant die Evakuation des Lagers Sachsenhausen. Erfahrungen aus osteuropäischen Ausmärschen und Transporten werden aufgearbeitet.
Ab 9. Februar 1945: Die Sachsenhausener Außenlager werden aufgelöst und deren Häftlinge in das Stammlager bei Oranienburg gebracht.
Februar 1945: Über 200 Gefangene, denen man militärische Kenntnisse oder Führungspersönlichkeit unterstellt, werden in Sachsenhausen ermordet.
Im KZ Ravensbrück werden im Januar und Februar 1945 5.000-6.000 weibliche Gefangene ermordet.
Ab 21. April 1945: Etwa 33.000 Häftlinge verlassen das KZ Sachsenhausen, etwa 3.000 bleiben auf den Krankenstationen zurück.
Um den 26. April: Zwischen 16.000 und 18.000 Todesmarschierer werden im improvisierten Lager im Belower Wald bei Wittstock gehalten. Hier kann das Rote Kreuz Nahrungspakete verteilen.
Ab dem 29. April: Die Kolonnen müssen weitermarschieren.
Etwa 10.000 weibliche und 1.000 männliche Häftlinge werden von dem KZ Ravensbrück auf eine parallele Route gezwungen.
Zwischen 2. und 5. Mai: Die Überlebenden der Todesmärsche werden in einem Gebiet südlich von Schwerin, um Crivitz, Raben Steinfeld und in Blieversdorf befreit.
DREHORTE
• Gedenkstätte Todesmarsch im Belower Wald, an der Grenze zwischen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern
• Gdingen/Gydinia (Polen), Zentrum Polnischer Wiederstand
• diverse stillgelegte Bahngleise in Brandenburg
• Gedenkstätte KZ Sachsenhausen/Oranienburg, Brandenburg
• Gedenkstätte KZ Ravensbrück, Brandenburg
• Industriezonen um Oranienburg, Brandenburg
• Umgebung Haßleben, Mecklenburg-Vorpommern
• Umgebung Hohenlychen, Mecklenburg-Vorpommern
• Umgebung Wustrau, Brandenburg
• Umgebung Rheinsberg, Brandenburg
• Umgebung Wittstock, Brandenburg
• Umgebung Kloster Lehnin, Brandenburg
• Umgebung Fehrbellin, Brandenburg
• Vorort Milkau bei Leipzig, Sachsen
• Umgebung Bieversdorf, Mecklenburg-Vorpommern
• Umgebung Neustadt/Glewe, Mecklenburg-Vorpommern
• Umgebung Raben-Steinfeld, Mecklenburg-Vorpommern
• Stettin, Mecklenburg-Vorpommern
• Felder bei Coswig und Dessau, Sachsen-Anhalt
WEITERFÜHRENDE LITERATUR UND FILME
• „Die Todesmärsche 1944/45“ von Daniel Blatman, Rowohlt, Reinbeck, 2011.
• „Heinrich Himmler, Biographie“ von Peter Longerich, Siedler, Berlin, 2008.
• „Befreiung Sachsenhausen 1945“, hrsg. von Günther Morsch, Hentrich, Berlin 1996.
• „Der Schuh im Nationalsozialismus“ von Anne Sudrow, Wallstein, Göttingen, 2010.
• „Gewalt und Erinnerung im ländlichen Raum“ von Martin Clemens Winter, Metropol, Berlin 2018.
• „Die Aufseherin“ (Johanna Langefeld), Regie: Gerburg Rhode-Dahl, Wladek Jurkow (RBB, 2020).
MARTIN GRESSMANN (Regie & Buch) wurde 1953 in Hamburg geboren. Aufgewachsen in Brüssel. 1976-80 Studium an der HFF München. Seit 1981 in Berlin, seit 1983 als freiberuflicher Kameramann bei Kino- und Fernsehfilmen. Deutscher Kamerapreis 2006 „Bester Fernsehfilm“ für „Die Nacht der großen Flut“ (NDR/Arte). Dozent Kamera/Bildgestaltung an der Filmakademie Ludwigsburg.
Filmographie
1983
„Die Schattenlinie“ (Kurzfilm)
1985
„Meine Socken“ (Kurzfilm)
1990
„Berliner Fassaden, Spuren der Macht“ (Dok.)
2008
„Der Weg, den wir nicht zusammen gehen“ (Episode mit Dominik Graf)
2014
„Das Gelände“ (Dok.), Preis der Deutschen Filmkritik 2016
2016
„Philip Rosenthal, der Unternehmer, der nicht an den Kapitalismus glaubte“ (Dok. mit Dominik Graf und CJ Pfeiffer)
2021
„Nicht verRecken“ (Dok.), Duisburger Filmwoche, Publikumspreis
VOLKER GLÄSER (Kamera)
2003
„The Man Who Shot Chinatown“ (Regie: Axel Schill)
2006
„Der Himmelstürmer von Görlitz“ (Regie: Knut Beulich)
2012
„Rodion Shchedrin“ (Regie: Wolf Seesemann)
2021
„Auslegung der Wirklichkeit, Georg Stefan Troller“ (Regie: Ruth Rieser)
SABINE HERPICH (Kamera)
2012
„Neukölln-Aktiv“ (auch Regie)
2016
„David“ (auch Regie)
2020
„Kunst kommt aus dem Schnabel, wie er gewachsen ist“ (auch Regie)
STEFAN OLIVEIRA-PITA (Montage)
2010
„Portraits deutscher Alkoholiker (Regie: Carolin Schmitz)
2016
„Furusato“ (Regie: Thorsten Trimpop)
2019
„A Machine to Live in“ (Regie: Yoni Goldstein/ Meredith Zielke)
2021
„Axiom“ (Regie: Jöns Jönsson)
2021
„Mutter“ (Regie: Carolin Schmitz)
BRYNMOR JONES (Musik)
1984
„Der Spiegel“ (Regie: Erden Kiral)
1986
„Ein Blick und die Liebe bricht aus“ (Regie: Jutta Brückner)
1992
„Verlorene Landschaft“ (Regie: Andreas Kleinert)
2015
„Das Gelände“ (Regie: Martin Gressmann)
Regie & Buch
Martin Gressmann
Kamera
Volker Gläser, Sabine Herpich
Montage
Stefan Oliveira-Pita
Ton
Christoph Kozik
Sounddesign
Rainer Gerlach
Musik
Brynmor Jones
Interviews
Elena Shatkovskaia
Produktion
Martin Gressmann
Eine Produktion der Martin Gressmann Filmproduktion
gefördert durch Land Brandenburg – Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur · Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung · Freundeskreis Gedenkstätte Todesmarsch im Belower Wald e.V. · Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern
gefördert durch die MV Filmförderung
Im Verleih von Salzgeber