Innocence

von Andreas Fux

Hardcover, 240 × 320 mm, 128 Seiten
78 Abbildungen in Duoton/Farbe
Texte auf Deutsch und Englisch

Veröffentlichung: Juli 2022

Zum Buch im Salzgeber.Shop

Innocence

„Innocence“ versammelt Porträts und Akte des Fotografen Andreas Fux. Seine Protagonisten sind echte Berlin bad boys, die mit den glattgebügelten und kommerzialisierten Standards der schwulen Fotografie wenig gemein haben. Sie verkörpern eine entscheidende Periode in der Kulturgeschichte der Stadt, eine Zeit des Aufbruchs und der Emanzipation.

“Innocence” brings together nude portraits by photographer Andreas Fux. His protagonists are real Berlin bad boys, worlds apart from the smoothed-over, commercialized standards of gay photography. They personify a crucial period in the city’s cultural history, a time of boldness and emancipation.

Ausstellung

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Die Ausstellung zur Buchveröffentlichung mit Bildern von Andreas Fux:
23. Juli bis 6. August 2022
Semjon Contemporary – Galerie für zeitgenössische Kunst
Schröderstraße 1 · Berlin-Mitte

www.semjoncontemporary.com

Vorwort

Auch diese Frage habe ich nie gestellt, aber Andreas Fux muss in seiner Wohnung im Prenzlauer Berg schon seit Ewigkeiten wohnen. Oberster Stock, zwei Zimmer nach vorne raus, Bad und Küche zum Hof und dann vom großen vorderen Zimmer eine merkwürdige Fortsetzung in den schmalen Seitenflügel. Dort befindet sich die Dunkel­kammer. Denn selbstverständlich fotografiert Andreas noch immer auch analog, stellt seine Abzüge selber her und hat es nicht nur dabei zur wahren Meisterschaft gebracht. Große Dramen, wenn Entwickler, Stopp- und Fixierbäder bestellt, geliefert und angesetzt werden müssen, und noch mehr Probleme in diesen modernen Zeiten, Foto­papier überhaupt geliefert zu bekommen oder mit den Besonder­heiten der jeweiligen Charge umzugehen. Analog braucht seine Zeit. Nächtelange Klausur in der Dunkel­kammer, um dann perfekte Abzüge zu erhalten. Wir können erahnen, dass der Akt des Fotografierens mindestens genauso lange dauert.

Im großen Zimmer – gleich vor der Dunkelkammer – befindet sich die Wand, die uns auf einem Teil der Fotos in diesem Buch begleiten wird. In den frühen neunziger Jahren bei den Fotos von André noch frisch von Tapeten befreit und dabei auch dieses charmante Detail aus DDR-Mangelwirtschaft preisgebend, dass die Stromleitung dem kürzesten Weg folgen musste und dabei schräg verputzt wurde. Irgendwann wurde renoviert, die Steckdosen wurden modernisiert und die Wand konnte weiß oder schwarz verhängt werden. Im Laufe der Jahrzehnte wurde das Schwarz dominanter und begleitete immer häufiger das Geschehen zwischen Andreas und Francesco, Hannes, Johannes, Nico, Nicos Bruder, Paul, Sören und vielen anderen. Eine unvollständige Chronik Berliner Nächte, ein intimer Blick auf Menschen, die nichts zu verbergen haben. Denn Menschen müssen sich nicht für ihre Nacktheit und auch sonst nur für ziemlich wenig schämen. Das Zimmer und unsere Wand als Garten Eden. Oder vielleicht doch nur als der Ort, um eine Berliner Clubnacht weiter- oder vorzufeiern. Sündenfall, Erbsünde, Schlangen oder Äpfel und der ganze andere Quatsch sind hier schon lange ersatzlos gestrichen, denn wer vor Andreas’ Kamera tritt, weiß, was ihn erwartet, und ist mit sich selbst, seinem Körper und seinen Bedürfnissen im Reinen. Wer ohne Sünde ist, kennt keine Scham; Berliner Club-Hedonismus als der Weg nach Elysium?

Auf den Fotografien in diesem Buch ist mehr zu sehen als ein paar schöne Jungs mit Piercings, Tattoos oder Narben, die sich stolz und selbstbewusst vor die Kamera begeben und doch so aussehen, als ob unsere Mütter uns vor ihnen warnen würden. Fux’ Protagonisten sind echte Berlin bad boys, die mit den glattgebügelten und kommerzialisierten Standards der schwulen Fotografie nichts zu tun haben. Sie sind sozusagen Berlins Beitrag zur Kulturgeschichte und Zeugnis einer Periode in der Stadt- und Emanzipations­geschichte. Zeiten der Unschuld, in denen die Ostentatio genitalium Schwäche und Stärke zugleich war und wir den freien Willen zur Erektion ertragen konnten. I’m not afraid oder Fuck the world; manches kann eben nur ein Song von Eminem auf den Punkt bringen. Oder ein Foto von Andreas Fux.

I’ve never asked him, but Andreas Fux must have lived in his apartment in Prenzlauer Berg for a very long time. Top-floor, two rooms to the street out front, bathroom and kitchen facing the inner courtyard, and then a curious extension of the larger room into the building’s side wing. That’s where the darkroom is. It goes without saying that Andreas’ photography is analog; he develops his own negatives and does so with complete mastery. But that’s not all. There is no shortage of drama when developer, stop bath and fixer need to be ordered, delivered and put to use in these modern, digital times; not to mention getting hold of photographic paper and coming to terms with the particularities of each batch of photos. Analog takes time: all-nighters in the darkroom to produce the perfect prints; and finding the perfect shots takes at least as long.

In the large room, right next to the darkroom, is a wall that can be seen in a number of the photos in this book. In André’s photos from the early 90s we see it stripped of its wallpaper, revealing a charming detail of the economy of scarcity in the GDR: to save materials, the electric wiring was laid diagonally before plastering. At some point his place got renovated, the electrical sockets were modernized, and the walls were painted either white or black. With the passage of decades, black becomes the predominant color, serving as a backdrop for everything that happened between Andreas and Francesco, Hannes, Johannes, Nico, Nico’s brother, Paul, Sören and many others. An incomplete chronicle of Berlin nights; an intimate portrait of people who have nothing to hide. After all, people generally don’t have much to be ashamed of, least of all their nakedness. The room and the wall as the Garden of Eden. Or maybe just the setting before and after a night of clubbing in the city. Sins, original or otherwise — not to mention snakes and apples and all that other hokum — have been completely erased from this picture. Anyone posing for Andreas’ camera knows what to expect, and is at peace with himself, his body and his desires. Berlin club hedonism as the path to Elysium?

The photographs in this volume are more than just pictures of guys with piercings, tattoos and scars, who proudly and confidently pose for the camera and look like the kind of man our mothers warned us about. Fux’s protagonists are real Berlin bad boys, worlds apart from the smoothed-over, commercialized standards of gay photography. They are, so to speak, Berlin’s contribution to cultural history and offer testimony to a specific period in the city’s history and in the history of gay emancipation. It was a time of innocence, when ostentatio genitalium was an expression of both strength and vulnerability, when we could handle the freedom of an erection. I’m not afraid, or Fuck the world: feelings you might find distilled in a song by Eminem. Or in a photo by Andreas Fux.

Biografie

ANDREAS FUX wuchs in Ost-Berlin auf und beschäftigte sich ab den frühen 80er Jahren mit Fotografie. 1988 wurden erste Arbeiten von ihm in der legendären Zeitschrift Das Magazin veröffentlicht. Zu seinen fotografischen Sujets zu dieser Zeit gehörte u.a. die ostdeutsche Punk- und Jugendszene. Seit 1990 ist Andreas Fux freier Fotograf und widmet sich eigenen künstlerischen Projekten. Er gehört zu den prominentesten Vertretern der Fotokünstlerszene aus dem Prenzlauer Berg, die das letzte Jahrzehnt der DDR und den Übergang ins wiedervereinte Deutschland dokumentierten. Einem breiteren Publikum bekannt wurde Fux durch die Fotoserie Die süße Haut (1995–2005). Die Themen Akt, Körperkultur und Sexualität prägen seine Kunst bis heute. Andreas Fux lebt und arbeitet in Berlin.

ANDREAS FUX grew up in East Berlin and began working in photography in the early 80s. In 1988, his first works were published in the legendary magazine Das Magazin. His photographic subjects at that time included the East German punk and youth scene. Since 1990, Andreas Fux has been a freelance photographer and has devoted himself to his own artistic projects. He is one of the most prominent representatives of the art-photography scene in Prenzlauer Berg, which documented the last decade of the GDR and the transition to a reunified Germany. Fux became known to a wider audience through the photo series Sweet Skin (1995–2005). The nude, body culture, and sexuality are themes that have shaped his art until today. Andreas Fux lives and works in Berlin.