ein Film von Luis De Filippis
Kanada/Schweiz 2022, 96 Minuten, englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln
FSK 12
Trans Frau Ren ist Mitte 20, angehende Schriftstellerin und hat gerade ihren Job verloren. Ausgerechnet jetzt steht der Strandurlaub mit ihren liebevollen, aber ziemlich temperamentvollen italo-kanadischen Eltern und ihrer rebellischen kleinen Schwester Siena an. Im Wissen, dass sie jetzt wieder mehr auf die Unterstützung ihrer Familie angewiesen sein wird, wartet Ren auf den richtigen Moment, von der Entlassung zu erzählen. Doch zwischen der Enge der spießigen Ferienanlage den üblichen Familienstreitereien und einem irritierenden Urlaubsflirt ist es gar nicht so einfach, Raum für sich und die eigenen Gefühle zu finden.
Vor dem Hintergrund der schwülen Langeweile eines Familienurlaubs erzählt Autorin und Regisseurin Luis De Filippis in ihrem Debütfilm vom widersprüchlichen Wunsch eines Millennials, gleichzeitig unabhängig und umsorgt zu sein. Fernab von melodramatischen Klischees zeichnet „Something You Said Last Night“ ein vielschichtiges Figurenporträt, das mit mehreren Narrativen der Darstellung von trans Menschen im Kino bricht. Ren wird von ihrer Familie in ihren Eigenheiten geliebt und als Tochter und Schwester wahrgenommen – die Frage, was sie genau mit ihrem Leben machen möchte, ist damit aber natürlich noch nicht geklärt. Die junge kanadische trans Darstellerin Carmen Madonia gibt ein fulminantes Schauspieldebüt.
„Something You Said Last Night“ ist das Ergebnis von über fünf Jahren Arbeit. Für mich ist der Film eine universelle Geschichte: Er handelt von Liebe, Verlegenheit, Scham, davon, dass man die Menschen nicht sieht, selbst wenn sie vor einem stehen; und davon, wie man lernt, erwachsen zu sein, während man trotzdem noch das Kind seiner Eltern bleibt. Dieses Projekt findet seinen Ursprung in meinem Kurzfilm „For Nonna Anna“. Beide Filme erzählen Geschichten von trans Frauen, wie wir sie vorher selten gesehen haben: Sie sind akzeptiert, geliebt und werden als wesentliche Mitglieder ihrer Familien wahrgenommen. In „Something You Sais Last Night“ ist Renata nicht lediglich eine trans Frau, sondern genauso eine Schwester, eine Tochter und ein zwar fehlerhaftes und manchmal egoistisches, aber stets wesentliches Teil des Familienpuzzles. Dieser Film präsentiert ein neues Narrativ über trans Menschen: eines, in dem trans Frauen nicht verunglimpft, sensationalisiert oder erotisiert werden. Stattdessen finden wir Ren in einer liebevollen, unterstützenden, und ja, auch überschwänglichen Familie, die sie genauso wahrnimmt, wie sie ist.
Der Film basiert auf Ihrem Kurzfilm „For Nonna Anna“. War es schon immer die Idee, diesen in einen Spielfilm zu adaptieren?
Ich spiele gerne mit dem Gedanken, dass „For Nonna Anna“ und „Something You Said Last Night“ die gleiche Welt bewohnen. „For Nonna Anna“ hatte 2017 auf dem Toronto International Film Festival Premiere und gewann den Spezialpreis der Jury in Sundance 2018. Ich bin nicht mit der Absicht an den Kurzfilm herangegangen, ihn zu erweitern. Ich hatte eigentlich schon seit Jahren an einem anderen Drehbuch gearbeitet, doch während „For Nonna Anna“ an den Festivals lief, kam mir plötzlich diese Idee und blieb immer da, bis sie zu „Something You Said Last Night“ wurde. Das Momentum des Kurzfilms zu nutzen, schien mir der beste Weg zu sein, meinen ersten Spielfilm zu realisieren.
Wie haben Sie die Dreharbeiten dieses Filmes erlebt?
Einen Spielfilm in 19 Tagen zu drehen, war keine einfache Aufgabe – vor allem, weil wir das größte Pech mit dem launischen Wetter hatten. Es war kalt, wenn es warm hätte sein sollen, bewölkt, wenn die Sonne hätte scheinen sollen, und es regnete während des einzigen Nacht-Drehs. Dennoch unterstützte die Crew die Vision und glaubte an unsere Arbeit. Diese Momente erinnerten mich stets daran, dass man dem Prozess vertrauen muss.
Wie war es, mit der Besetzung und dem Team zu arbeiten, und wie war eure Zusammenarbeit am Set?
„Something You Said Last Night“ ist ein Film, der mir sehr am Herzen liegt. Nicht nur, weil er von den Menschen inspiriert wurde, die mir am wichtigsten sind, sondern auch, weil er das Herz und die Energie der einzelnen Mitarbeitenden einfängt, wobei alle furchtlos und vertrauensvoll ein Stück von sich selbst in den Film einbringen konnten. Einem dokumentarischen Ansatz folgend wurde die Crew klein und intim gehalten, anstatt in einer großen und schwerfälligen Crew zu arbeiten. Dadurch hatten wir die Freiheit, die Schauspieler:innen genau in jenen Augenblicken festzuhalten, in denen sie sich komplett in den magischen Moment des Schauspielens fallen ließen.
Carmen Madonia hat noch nie als Schauspielerin gearbeitet. Können Sie uns sagen, wie Sie Ihre Hauptdarstellerin gefunden haben?
Es ist schon eine lustige Geschichte, am Ende war es Carmen, die uns gefunden hat. Das Casting für die Hauptrolle in „Something You Said Last Night“ glich weniger einem Casting als vielmehr einem Schauspielworkshop. Wir luden trans Frauen aus der Umgebung ein, um mit ihnen einige Improvisationsspiele zu machen und einfache Szenen zu proben. Doch obwohl wir einige wirklich besondere und talentierte junge Frauen kennengelernt haben, hatten wir unsere Renata noch nicht gefunden. Eines Tages kam dann eine Freundin von der Arbeit nach Hause und erzählte mir, dass sie Ren gefunden hätte, dass eine junge tans Frau in ihren Laden gekommen wäre und sie mit 100-prozentiger Sicherheit wüsste, dass dies diejenige war, nach der wir gesucht hätten. Eine Woche später traf ich mich mit Carmen und ließ sie eine Szene lesen, ganz ohne Kontext, und sie brillierte. Die Covid-Pandemie gab uns weitere anderthalb Jahre Zeit, um mit Hilfe eines brillanten
Schauspiel-Coaches, Vivien Endicott-Douglas, die Rolle zu erarbeiten. Die Leistung von Carmen Madonia in der Rolle der Renata ist unglaublich. Carmen Madonias Erfahrung verleiht Renata sowohl eine delikate Verletzlichkeit und gleichzeitig eine eiserne Entschlossenheit. Sie ist stark in ihrer Stille und schön in ihrer Natürlichkeit.
„Something You Said Last Night“ wurde auf Film gedreht. Wie beeinflusste dies die Dreharbeiten?
Wir haben auf 35mm gedreht. Ich finde, dass ich besser als Regisseurin arbeite, wenn ich auf Film drehe. Ich bin gezwungen, kühne Entscheidungen zu treffen und genau zu wissen, was ich will, bevor ich die einzelnen Szenen angehe. Das Klicken des Films, wenn er durch die Kamera rast, formt den gemeinsamen Herzschlag der Filmcrew. Mit der Erkenntnis, dass der Film Grenzen mit sich bringt, entsteht eine klare Vision: Dieses Gefühl teilen sowohl die Crew als auch die Schauspieler:innen, die ihr Bestes geben, weil sie wissen, dass die Aufnahmen begrenzt sind.
Sie haben sich nicht nur vorgenommen, einen Film zu drehen, sondern Sie haben dies auch als Gelegenheit genutzt, um andere zu unterstützen. Können Sie mehr über das Mentor:innen-Programm sagen, das Sie hervorgebracht haben?
Das von uns ins Leben gerufene Mentor:innen-Programm konzentriert sich darauf, aufstrebenden trans Kreativen praktische Erfahrungen zu vermitteln, in der Hoffnung, dass sie eines Tages in der Lage sind, ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Das Programm ist bereits ein zweites Mal durgeführt worden am Set des HBO-Films „Sort Of“. Derzeit bereiten wir das Programm zum dritten Mal vor, bei der kommenden Jackie-Shane-Dokumentation, die von Elliot Page produziert wird.
Was wünschen Sie sich, dass die Zuschauenden aus Ihrem Film mitnehmen?
Letztendlich hoffe ich, dass diese Geschichte trans Frauen und ihren Familien Hoffnung gibt und gleichzeitig die voreingenommenen Meinungen darüber, was „Trans Kino“ traditionell ist, aufwühlt. Aber „Something You Said Last Night“ ist auch eine universelle Geschichte, die universelle Momente bietet: Momente zum Nachdenken, Momente, mit denen man sich identifizieren kann, Momente, die hervorstechen, weil wir uns in ihnen wiedererkennen. Ich lade das Publikum ein, mit Renata und ihrer Familie in den Urlaub zu fahren, an den großen Dramen der kleinen Probleme teilzuhaben, dringendere Probleme zu verdrängen – all dies, während die Sonne brennt, der Schweiß tropft und die Möwen kreischen, während sie über glitzerndes Wasser gleiten, das an das Ufer schwappt.
LUIS DE FILIPPIS (Regie & Buch) ist eine kanadisch-italienische Filmemacherin, deren Werke auf Festivals wie TIFF, Rotterdam und Sundance gezeigt wurden. In Sundance wurde ihr Kurzfilm „For Nonna Anna“ (2017) mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. Luis’ erster Spielfilm „Something You Said Last Night“, hatte seine Weltpremiere 2022 auf dem Toronto Film Festival. Luis’ Filme erforschen die Vielschichtigkeit des Familienlebens, das Verhältnis zwischen den verschiedenen Generationen und die Realitäten des Lebens einer trans Frau. Durch ihre Arbeit mit der „Trans Film Mentorship“ unterstützt Luis andere Trans-Filmemacher:innen; vor kurzem wurde das Programm in der HBO-Show „Sort Of“ zum zweiten Mal durchgeführt.
Regie & Buch
Luis De Filippis
Kamera
Norm Li (CSC)
Schnitt
Noemi Preiswerk
Musik
Ella van der Woude
Szenenbild
Matthew Bianchi
Kostüme
Mara Zigler
Produzent:innen
Jessica Adams, Michael Graf, Harry Cherniak, Rhea Plangg, Michela Pini, Luis De Filippis
Ren
Carmen Madonia
Mona
Ramona Milano
Siena
Paige Evans
Guido
Joey Parro
Guy
Augustus Oicle
Lani
Mi'de Woon-A-Tai
Eine Produktion von JA Productions
in Koproduktion mit Cinédokké
in Zusammenarbeit mit Cloud Fog Haze Pictures, Fra Diavolo Films, Lido Pictures, Plainspeak Pictures
unterstützt von Eurimages, Bundesamt für Kultur BAK
unter Beteiligung von Ontario Creates
in Koproduktion mit RSI Radiotelevisione Svizzera
in Zusammenarbeit mit Crave a Division of Bell Media, CBS Films
im Verleih von Salzgeber