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Spuren – Die Opfer des NSU

ein Film von Aysun Bademsoy

Deutschland 2019, 81 Minuten, deutsche Originalfassung

FSK 12

Kinostart: 13. Februar 2020

Zur DVD im Salzgeber.Shop

Spuren – Die Opfer des NSU

Zwischen September 2000 und April 2007 wurden acht Männer mit türkischen Wurzeln, ein griechischstämmiger Mann sowie eine deutsche Polizistin ermordet. Die Ermittlungen wurden zunächst ausschließlich im Umfeld der nicht-deutschen Opfer mit Verdacht auf Drogenhandel und organisierte Kriminalität geführt. Die Familien der Ermordeten wurden so ein weiteres Mal zu Opfern, diesmal von vorurteilsvoller Stigmatisierung. Nach einem gescheiterten Bankraub führte die Spur schließlich zu der rechtsextremen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Nach dem Suizid der beiden Haupttäter begann 2013 der Prozess gegen die einzige Überlebende des NSU-Trios, Beate Zschäpe, sowie vier mutmaßliche Helfer und Unterstützer und endete 2018. Die zu milden Strafen für die Mitangeklagten und die zahlreichen ungeklärten Fragen ließen die Angehörigen der Opfer enttäuscht und desillusioniert zurück. Ihr Glaube an den Rechtsstaat ist grundlegend erschüttert.

Spuren – das sind nicht nur die Hinweise, die Verbrecher am Tatort hinterlassen, sondern auch die Verletzungen und Narben, die ihre Taten bei den Angehörigen der Opfer, in den migrantischen Gemeinschaften und in der gesamten deutschen Gesellschaft verursachen. In ihrem Dokumentarfilm begibt sich die türkischstämmige Regisseurin Aysun Bademsoy auf die Suche nach diesen Spuren und stellt sich dabei die Frage, welcher Prozess diese Verletzungen überhaupt heilen könnte. „Spuren“ ist ein vielschichtiger Dokumentarfilm, der das Scheitern von Ermittlern und Justiz beleuchtet – und den Angehörigen der Opfer endlich eine Stimme gibt.

Trailer

Galerie

Director’s Statement
Regisseurin Aysun Bademsoy über ihren Film

Nach den Enthüllungen der NSU-Morde an acht Menschen mit türkischen Wurzeln war dies nicht nur eine Tragödie für die betroffenen türkischen Familien, sondern auch für die Generation türkischer Migranten in Deutschland, zu denen auch ich gehöre. Die, die sich für Deutschland als Heimat entschieden hatten. Nicht wie unsere Eltern, die heute noch von ihrer verlassenen Heimat träumen, in die sie irgendwann einmal zurückkehren wollten. Wir waren Deutsche und hatten Vertrauen in diesen Staat. Das mühsam erarbeitete Vertrauen bekam nach den Enthüllungen der NSU-Morde einen Riss.

Denn der Hass, der das NSU-Trio bei der Auswahl ihrer Opfer leitete, richtete sich gegen genau uns, diese zweite und dritte Generation der Deutschtürken. Eine Generation, die sich darauf verlassen hatte, dass der Staat Rassismus nicht duldet und sie davor schützen würde. Stattdessen versagten die Institutionen: Die Ermittlungen in den Mordfällen selbst waren geleitet von Misstrauen, Ressentiments und rassistischen Motiven. Die NSU-Morde sind mehr als menschliche Schicksale, sie sind für die zweite und dritte Generation ein dramatischer Wendepunkt in ihrem Verhältnis zu Deutschland und ihrer Sehnsucht nach einer Heimat, die Deutschland vielleicht einmal war.

Diese Wunden, die bei uns entstanden sind: Werden oder können sie überhaupt heilen? Und wie gewinnt man ein Vertrauen zurück, das tief erschüttert wurde?

Interview
Regisseurin Aysun Bademsoy im Gespräch

Wann und warum haben Sie den Entschluss gefasst, einen Film über die NSU-Morde zu drehen?

Schon als ich zu Beginn von den Morden hörte und über sie las, hatte ich ein merkwürdiges Gefühl dabei. Es waren fast immer Männer, Mitte/Ende dreißig, Familienväter, Kleinunternehmer. Und alle waren der Polizei vollkommen unbekannt. Trotzdem ermittelte diese nur innerhalb der Familie und der türkischen Community. Die Frage nach Ausländerfeindlichkeit, Rechtsextremen, Nazi-Tätern wurde vollkommen ausgeblendet. Dabei hatten es zu dem Zeitpunkt schon eine ganze Reihe von rassistisch motivierten Gewalttaten und Morden gegeben, u.a. in Mölln, Solingen, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen.
Nachdem sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach ihrem gescheiterten Banküberfall selbst das Leben nahmen und Zschäpe sich stellte, war das ein Schock. Gleichzeitig war da aber auch das Gefühl: All das hätte man doch ahnen können! Wie blind ist dieser Staat gewesen und hat all das über 10 Jahre geschehen lassen können?
Dann begann ein Gerichtsverfahren, dass sich über 5 ½ Jahre hinzog. Ich fuhr gleich zu Beginn zum Gericht und verfolgte den Prozess über die komplette Dauer. Verwundert war ich vor allem darüber, welch großes Augenmerk die Öffentlichkeit mal wieder den Tätern, insbesondere der Hauptangeklagten Beate Zschäpe, zuteilwerden ließ. Die Familien der Ermordeten kamen zwar stellenweise auch zu Wort, aber eigentlich nur, weil sie von sich aus immer wieder aktiv an die Öffentlichkeit gingen und dabei ihr Recht auf Erhörung quasi erkämpfen mussten. Sie waren dabei hartnäckig, hatten gute Rechtsanwälte um sich, und konnten so auf die mangelnde, ungenaue und rassistische Behandlung aufmerksam machen. Bis zur Enttarnung des NSU wurden sie kriminalisiert, entehrt und selbst der Morde an ihren eigenen Ehemännern und Brüdern bezichtigt. Sie wurden geächtet und an den Rand der Gesellschaft verbannt. Und sie wurden mit ihrem Leid allein gelassen.
Als ich den ganzen Umfang dieser Tragödie zu verstehen begann, wusste ich, dass ich den Angehörigen der Opfer zuhören wollte und musste, um ihnen den Raum zu geben, von sich und den Erfahrungen dieser Jahre zu erzählen. Wir hatten und haben als ganze Gesellschaft etwas gutzumachen. Mir stellte sich aber auch die Frage, ob dieses Land den Familien der Opfer überhaupt wieder das Gefühl von Sicherheit geben, ja ihnen eine Heimat sein kann?

Wie haben Sie sich dem Thema angenähert, was war Ihnen bei der Auseinandersetzung wichtig?

Es war für mich zunächst wichtig zu verstehen, wie die Familienangehörigen nach den vielen leidvollen Wochen, Monaten, Jahren überhaupt die Kraft fanden, immer und immer wieder die Aufklärung dieser Morde zu fordern. Sie sprachen von der Ehre ihrer Ehemänner, Väter und Brüder, die es wiederherzustellen galt. Sie forderten aber auch, dass sich der Staat seiner Versäumnisse stellt und die Konsequenzen daraus zieht. Es war für alle klar, dass der Staat und seine Institutionen – also die Polizei, die Kriminalämter, der Verfassungsschutz – vollkommen versagt haben müssen, indem er zulange weggeschaut hat, ja auf dem rechten Auge blind war. Anders hätte es nie zu diesen zehn Morden kommen können. Ich habe während der 5 ½ Jahre alles gelesen, was es zum Thema zu bekommen hab. Ich bin immer wieder zum Prozess gefahren, habe dort mit den Rechtsanwälten der Hinterbliebenen und auch mit den Prozessbeobachtern – mit NSU-Watch, weiteren Initiativen und den Gerichtsreporten – gesprochen.

War es schwierig, mit den Angehörigen der Opfer in Kontakt zu treten und sie zu befragen?

Ja, es war sehr, sehr schwierig. Natürlich mussten die Rechtsanwälte ihre Mandanten auch schützen. Ich hatte die Witwe von Mehmet Kubaşık bei ihren ersten öffentlichen Äußerungen in Berlin erlebt und war vollkommen erschlagen von der Klarheit, Klugheit und präzisen Darstellung ihrer Jahre nach dem Mord an ihrem Mann. Semiya Şimşek hatte ich durch ihre Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz in dem ersten Jahr des Prozessbeginns kontaktiert. Aber ich war damals noch nicht ganz sicher, wie genau mein Film am Ende aussehen sollte. Ich hatte mit den Rechtsanwälten dann die Absprache, Kontakt zu den Familien zu bekommen, wenn der Prozess zu Ende ist. Und an dem Tag der Urteilsverkündung, dem 11. Juli 2018, lernte ich alle Familienangehörigen bei der anschließenden Demonstration kennen, die am Gerichtsgebäude begann und zum Odeonsplatz führte. Ich sprach mit einigen der Familienangehörigen, hörte ihre Äußerungen zum Urteil und war derart bekräftigt in der Richtung meines Films wie nie zuvor: Jetzt erst recht galt es, den Angehörigen der Opfer zuzuhören und Anteil zu nehmen an dem Unrecht, das ihnen widerfahren ist.

Hat sich Ihre Sicht auf die Morde, auf den Prozess und den gesellschaftlichen Umgang damit im Laufe der Recherche bzw. im Laufe der Dreharbeiten verändert?

Eigentlich wurde für mich das Gefühl des Entsetzens darüber, was diesen Menschen angetan wurde, immer größer. Ich meine damit nicht nur all das, was Ihnen innerhalb der zehn Jahre, als die Morde noch nicht aufgedeckt waren, angetan wurde, sondern auch das Ende des Gerichtsverfahrens. Es war wirklich schrecklich und deprimierend mitanzuschauen, wie ihr diszipliniertes, geduldiges Hoffen auf ein anständiges Ende enttäuscht wurde. Das Schlimmste war, dass zwei bekennende Neonazis nach dem Prozess auf freien Fuß kamen, einer am gleichen Tag, der andere zwei Wochen später. Der Richter bedankte sich dann auch noch bei den Anwesenden, allerdings nicht bei den Familienangehörigen, für ihre Geduld, Disziplin und Ausdauer. Ich glaube, dass war das Schlimmste für die Hinterbliebenen! Mein Misstrauen in den deutschen Staat und seine Apparate, das zwar nie ganz uneingeschränkt war, hat sich damit ziemlich verstärkt. Zuvor wusste ich nicht, dass die Blindheit gegenüber rechten Gruppen so tief in den staatlichen Apparaten hinein wirkte. Erst durch die NSU-Morde wurde mir auch klar, wie viele Neonazis in den neuen Bundesländern aktiv sind, wie unzureichend die Aufarbeitung der NS-Zeit dort stattgefunden haben muss und wie wenig wir alle davon mitbekommen haben, wie problematisch der Umgang mit Leiharbeitern (u.a. aus Vietnam und Mosambik) in der ehemaligen DDR war. Der Rassismus scheint immer schon weit verbreitet gewesen zu sein, nur wurde er scheinbar immer heruntergespielt.

Gab es eine Begegnung oder einen Moment während der Dreharbeiten, der Sie besonders berührt hat?

Ja, es gab mehrere Momente. Zum Beispiel, als Adile Şimşek von dem aufrechten Gang zu sprechen begann, nachdem ihre Unschuld bewiesen und ihre Ehre wiederhergestellt worden war – und dann tatsächlich aufsteht und aufrecht um den Couchtisch geht. Oder als Ali Toy, der Blumenverkäufer von Enver Şimşek, uns die Bäume zeigte, die er in Andenken an Enver Şimşek gepflanzt hatte. Er erzählte uns, dass Enver Şimşek statt seiner ermordet wurde, da er selbst an diesem Tag in Urlaub gefahren war. Oder auch der Moment, als Elif Kubaşık poetische Worte für den Verlust ihres Mannes fand und ihre Liebe als ein Buch beschreibt, „dass nicht zu Ende geschrieben wurde“. Und wenn sie danach weint, weil das Lied, dass gerade eine ihrer Freundinnen beim Kochen singt, über die Liebe erzählt, die verlorengegangen ist.

Was können wir Ihrer Meinung nach als Gesellschaft aus dem NSU-Fall lernen?

Wir müssen sensibler mit den Menschen umgehen, denen solch unvorstellbares Leid zugefügt wurde und Ihren Schmerz annehmen, akzeptieren und sie nicht alleine lassen. Vor allem sollten wir aber auch öffentlichen Bezichtigungen und Verdächtigungen immer skeptisch und kritisch gegenüberstehen. Und natürlich alle rassistischen Taten verurteilen und uns bereits jeder rassistischen Äußerung entschieden entgegenstellen, um rechte Gruppierungen und Tendenzen nicht salonfähig werden zu lassen.

Biografie

AYSUN BADEMSOY (Regie & Buch) wurde 1960 im türkischen Mersin geboren. Neun Jahre später zog sie mit ihrer Familie nach Berlin. Nach Abschluss ihres Journalismus- und Theater-Studiums an der Freien Universität Berlin begann sie 1989, Dokumentarfilme zu drehen. In ihrem ersten Independent-Film „Mädchen am Ball“ (1995) porträtierte sie ein türkisches Frauenfußballteam, mit dessen Karriere sie sich auch in „Nach dem Spiel“ (1997) und in „Ich gehe jetzt rein …“ (2008) befasste. Als Regieassistentin und Produktionsmanagerin arbeitete sie mit Harun Farocki und Christian Petzold zusammen; zudem war sie als Filmeditorin und Schauspielerin tätig. Aysun Bademsoy lebt und arbeitet in Berlin.

Filmografie
  • 1990

    „Detektei Furkan“ (Kurz-Dok.)

  • 1994

    „Nirgends ist man richtig da“ (Kurz-Dok.)

  • 1995

    „Mädchen am Ball“ (Dok.)

  • 1996

    „Ein Mädchen im Ring“ (Kurz-Dok.)

  • 1997

    „Nach dem Spiel“ (Dok.)

  • 1999

    „Deutsche Polizisten“ (Dok.)

  • 2004

    „Die Hochzeitsfabrik“ (Dok.)

  • 2006

    „Am Rand der Städte“ (Dok.)

  • 2008

    „Ich gehe jetzt rein …“ (Dok.)

  • 2011

    „Ehre“ (Dok.)

  • 2016

    „Zyklop“ (Dok.)

  • 2019

    „Spuren –Die Opfer des NSU“ (Dok.)

Credits

Crew

Regie & Buch

Aysun Bademsoy

Kamera

Ute Freund, Isabelle Casez

Ton

Ivonne Gärber

Schnitt

Maja Tennstedt

eine Produktion der Ma.ja.de. Filmproduktion
in Co-Produktion mit Zweites Deutsches Fernsehen und Arte
gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Medienboard Berlin-Brandenburg und Deutschen Filmförderfonds

im Verleih von Salzgeber