ein Film von Lutz Pehnert
Deutschland 2022, 107 Minuten, deutsche Originalfassung
Kinostart: 19. Mai 2022
FSK 0
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Hier gibt es den Band „GEBOTE: Lieder und Gedichte aus 40 Jahren“, den Bettina Wegner anlässlich des Films zusammengestellt hat.
Bettina Wegner, geboren 1947 in Westberlin, aufgewachsen in Ostberlin, mit 36 Jahren ausgebürgert, seither „entwurzelt“. Der Werdegang der Liedermacherin gehört zu den spannendsten Lebensläufen des 20. Jahrhunderts. Es ist der Weg von einem Kind, das Stalin glühend verehrte, über eine hoffnungsfrohe Teenagerin, die mit ihren eigenen Liedern eine Gesellschaft mit bauen möchte, hin zu einer beseelten Künstlerin mit einer unerschütterlichen humanistischen Haltung. So heroisch das klingt, so irre und aberwitzig, mühevoll und traurig, hingebungsvoll und vergeblich ist es in den vielen Dingen des Lebens, die zwischen den Liedern eine Biografie ausmachen. Davon erzählt Bettina Wegner, davon erzählt der Film. Bettina Wegners Leben ist zugleich die Geschichte eines Jahrhunderts; es steckt in ihren Knochen, ihrer Seele, ihren Gedanken – und in ihren Liedern.
Geboren am 4. November 1947 in Berlin-Lichterfelde, wächst Bettina Wegner im Ostberliner Bezirk Pankow auf. 1964-67 Ausbildung zur Bibliotheksfacharbeiterin, anschließend Studium an der Schauspielschule in Berlin. 1965 nimmt sie am republikweiten Wettbewerb junger Talente teil, wird zu den Arbeiterfestspielen in Frankfurt/Oder delegiert. 1966 gehört sie zu den Mitbegründern des „Hootenanny-Klubs“, der von dem kanadischen Sänger Perry Friedman ins Leben gerufen wird und aus dem später der Oktoberklub hervorgeht. 1968 verlässt sie den Oktoberklub.
Nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die ČSSR verteilt sie Flugblätter gegen die Intervention. Sie wird verhaftet und wegen „staatsfeindlicher Hetze“ zu 16 Monaten verurteilt. Die Haftstrafe wird ausgesetzt. Bettina Wegner soll sich zwei Jahre in der Produktion bewähren. Sie arbeitet als Fabrikarbeiterin in den Berliner Elektro-Apparate-Werken (EAW). 1970 heiratet sie den Schriftsteller Klaus Schlesinger. Sie arbeitet in der Berliner Stadtbibliothek, besucht nebenbei die Abendschule und macht 1972 ihr Abitur. Es folgt eine Ausbildung als Sängerin am Zentralen Studio für Unterhaltungskunst, die sie 1973 mit einem Diplom abschließt.
Seit 1973 ist sie freischaffende Liedermacherin, tritt mit eigenen Liedern und lyrischen Texten auf. Mit Klaus Schlesinger gründet sie die Veranstaltungsreihen „Eintopp“ (1973-75) im Berliner Haus der Jungen Talente und „Kramladen“ (1975/76) in Berlin-Weißensee. Dort tritt sie neben anderen Künstlern und Schriftstellern auf. Die Veranstaltungen werden jeweils durch staatliche Organe verboten. Im November 1976 protestiert sie öffentlich gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Zunehmende Einschränkung ihrer Arbeitsmöglichkeiten und Auftrittsverbote sind die Folge. 1978 tritt sie zum ersten Mal in Westberlin auf, beim Literaturfest im Künstlerhaus Bethanien. Aus dem Konzertmitschnitt entsteht ihre erste LP „Sind so kleine Hände“, die in Westberlin und in der Bundesrepublik Deutschland erscheint.
1980 erhält sie einen Reisepass. Sie kann nur noch außerhalb der DDR auftreten. 1983 wird sie vom DDR-Kulturministerium aufgefordert, das Land zu verlassen. Andernfalls droht ihr ein Ermittlungsverfahren wegen „Verdachts auf Zoll- u. Devisenvergehen“. Im Juli 1983 übersiedelt Bettina Wegner nach Westberlin. Auftritte u.a. mit Joan Baez in der Waldbühne. Im Dezember 1989 tritt sie – gemeinsam mit anderen ausgebürgerten Liedermachern – zum ersten Mal wieder in der DDR auf, im Berliner „Haus der jungen Talente“.
1992 gehört sie zu den Mitunterzeichnern des Appells zur Gründung des Komitees für Gerechtigkeit. 1996 erhält sie den Thüringischen Kleinkunstpreis. Sie gibt Benefizkonzerte für verschiedene soziale Projekte. 1998 engagiert sie sich für den inhaftierten Journalisten Mumia Abu-Jamal, gehört zu den Initiatoren einer Mahnwache vor der US-Botschaft in Berlin. Seit 2003 gibt sie immer wieder Benefizkonzerte für das Kinderhospiz „Sonnenhof“ der Björn-Schulz-Stiftung.
Am 22. Januar 2005, zu ihrem 35jährigen Bühnenjubiläum, tritt sie in der Berliner Passionskirche auf. Im Dezember 2007 nimmt sie offiziell Abschied von der Bühne. Seitdem gibt sie nur noch hin und wieder Konzerte. Am 11. März 2020 wird sie für ihr Lebenswerk mit dem Deutschen Musikautorenpreis der GEMA ausgezeichnet.
Jeweils als LP/CD, z.T. als Buch erschienen sind u.a.: „Wenn meine Lieder nicht mehr stimmen“ (1978); „Traurig bin ich sowieso“ (1980); „Weine nicht – aber schrei“ (1982); „Heimweh nach Heimat“ (1995); „Von Deutschland nach Deutschland“ (1985); „Sie hats gewußt“ (1992); „Wege“ (1998); „Mein Bruder“ (2003); „Die Liebeslieder“ (2004), „Die Abschiedstournee“ (2007).
Ich habe Bettina Wegner kurz nach dem Mauerfall kennengelernt. Ich kam von Ostberlin zu ihr in den Westen, nach Frohnau. Es war eine fast surreale Begegnung. Wir beide kamen aus einem Land – und lebten in zwei verschiedenen Welten. Sie kannte meine Welt, aber ich noch nicht die Ihre. In den letzten dreißig Jahren bin ich Bettina Wegner immer wieder begegnet, bei Konzertauftritten oder zu Interviews. Zuletzt befragte ich sie für die rbb-Reihe „Berlin – Schicksalsjahre einer Stadt“ zu ihren Erlebnissen in den Jahren 1967,1968 und 1978. Ich glaube, dass Bettina Wegner bis heute in zwei Welten lebt – hüben und drüben, auch wenn sie gerade selbst nicht genau weiß, wo gerade hüben und wo drüben ist. Bis heute also steckt ihr die Geschichte eines Jahrhunderts, die auch ihre eigene ist, in den Knochen, in der Seele, in ihren Gedanken. Bei meiner Begegnung mit ihr, habe ich sie immer in einer wunderbaren Mischung aus Nachdenklichkeit und Heiterkeit erlebt, als eine Frau mit Humor. Traurig war sie nie. Sie erzählt von ihrer Vergangenheit mit einem natürlichen Gespür für den Aberwitz, den alles Erlebte enthält.
Lutz Pehnert (Regie & Buch) wurde 1961 in Berlin geboren. Nach seiner Ausbildung zum Schriftsetzer, arbeitete er von 1982 bis 1995 bei der Tageszeitung „Junge Welt“ und schrieb außerdem für verschiedene Zeitschriften. Seit 1995 ist er als freiberuflicher Autor und Regisseur für das Fernsehen tätig. Er realisiert Künstlerporträts, Geschichtsdokumentationen, Reise-Reportagen. Der Film „Brand“ über eine Alkoholiker-Brigade im Stahlwerk Brandenburg lief 1996 im Forum der Berlinale. Für seine mehrteilige Dokumentation über die Geschichte der ostdeutschen Seefahrt „DDR Ahoi!“ erhielt er 2011 den Grimme-Preis. Sein Film „Partisan“ über die Castorf-Ära an der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz gewann den 2. Panorama Publikumspreis auf der 68. Berlinale und wurde für den Deutschen Filmpreis 2019 in der Kategorie ‚Bester Dokumentarfilm‘ vorausgewählt.
1996
„Brand“ (Dok., 43 Min.)
2006
„Ma vie: Wolfgang Kohlhaase“ (Dok., 45 Min.)
2008
„Deutschland, deine Künstler – Katharina Thalbach“ (Dok. 45 Min.)
2010/11
„DDR ahoi!“ (3×45 Min.)
2014
„Die Ostdeutschen“ (Dok., 5×80 Min.)
2015
„Ostrock – Zwischen Liebe und Zorn“ (Dok., 90 Min.)
2016
„Grenzland: Vom Baltikum bis zur Akropolis“ (Dok., 45 Min.), „Immer bereit! Junge Pioniere in der DDR“ (Dok., 45 Min.), „Deutschland, deine Künstler – Katrin Sass“ (Dok., 45 Min.)
2018
„Partisan“ (Dok., 130 Min.)
2018-20
„Berlin – Schicksalsjahre einer Stadt“ (diverse Folgen, Dok., je 90 Min.)
2019
„Ostfrauen“ (Dok., 2×45 Min.)
2020
„Wir Ostdeutsche“ (Dok., 90 Min.), „Wer wir sind – Die DANN des Ostens“ (Dok., 90 Min.), „Die Fahrradfahrerin von Sanssouci – Jutta Hoffmann“ (Dok., 45 Min.)
2022
„Bettina“ (Dok., 107 Min.)
Regie & Buch
Lutz Pehnert
Kamera
Anne Misselwitz, Thomas Lütz
Ton
Johannes Schneeweiß
Schnitt
Thomas Kleinwächter
Musik
Bettina Wegner
Grading
Christoph Sturm
Sounddesign
Michael Kaczmarek
Grafik
Mieke Ulfig
Produktionsassistenz
Shanice Quauke
Produktionsleitung
Günter Thimm (rbb)
Produzentin
Susann Schimk
Redaktion
Rolf Bergmann (rbb)
eine Koproduktion der solo:film GmbH mit dem Rundfunk Berlin-Brandenburg
gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
im Verleih von Salzgeber