ein Film von Josephine Links
Deutschland 2024, 87 Minuten, englisch-deutsche Originalfassung, teilweise mit deutschen Untertiteln
Martin Schoeller hatte bereits US-Präsidenten, Hollywoodstars und Sportikonen vor seiner Kamera. In seinen privaten Fotoreihen konzentriert sich der Star-Fotograf jedoch auf jene Teile der US-Gesellschaft, die nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen – auf Obdachlose, ehemalige Inhaftierte, Dragqueens oder Native Americans. Seit dreißig Jahren lebt Schoeller in den USA und kennt die Extreme eines Landes, das politisch und sozial immer mehr auseinander zu reißen droht. Mit einem mobilen Foto-Setup kreiert er einen intimen Raum, in dem ihm Menschen von ihren Lebensrealitäten erzählen. Der Fotograf wird zum vorurteilsfreien Zuhörer – und für die Zeit des Porträts zum engen Vertrauten.
Josephine Links begleitet Martin Schoeller bei seinen persönlichen Fotoprojekten und zeigt dabei nicht nur einen weltweit gefeierten Fotografen bei der Arbeit, sondern eröffnet auch Einblicke in diverse Lebenswelten, die von den Bruchstellen der amerikanischen Gesellschaft erzählen. Damit transportiert der Film gerade jene zutiefst humanistische Erkenntnis, die Martin Schoeller mit seiner Arbeit seit Jahrzehnten zu vermitteln sucht und im Film durch die Worte eines Native Americans zum Ausdruck kommt: „We all bleed red“.
Martin Schoeller ist mein Stiefbruder, sein Vater und meine Mutter haben vor vielen Jahren geheiratet. Auch wenn wir nie gemeinsamen Alltag teilten, ist meine Faszination für seine Arbeit über die Jahre stetig gewachsen. Ich wollte mehr und mehr verstehen, wie seine beeindruckenden Bilder entstehen, was ihn antreibt, wie er arbeitet. Und so habe ich unsere familiäre Nähe genutzt, um sowohl Martin und seinen künstlerischen Ansatz als auch die Welten und Kontraste, mit denen er arbeitet, filmisch zu erkunden.
Martins großformatige Bilder, die in ihren Extremen die Höhen und Tiefen unserer Zeit intensiv beschreiben, sind wie gemacht für die große Leinwand. In jedem Einzelnen, vor allem aber auch in ihrer Vielfalt zeigen sich die Widersprüche der US-amerikanischen Gesellschaft, und gleichsam sind sie eine Suche nach dem Verbindenden, dem Authentischen hinter der äußeren Fassade. Martins Fotos enthüllen die Verletzlichkeit von Menschen in einer oft gewalttätigen, männlich-dominierten „survival of the fittest“– Gesellschaft. Es werden empfindsame Wesen spürbar, die sich bei dieser intimen Nähe kaum verstecken können, so hart sie sich vielleicht auch geben mögen.
Dass es gerade Martins Fähigkeit des Zuhörens und Vertrauen-Aufbauens ist, die diese Intimität und Verletzlichkeit zulässt, wird deutlich, wenn wir ihn beim Arbeiten begleiten. Es geht ihm um ein ehrliches Gespräch, um echte Begegnung und Verständnis. Und darum, das Bewusstsein für Menschen zu schärfen, die durch das allgemeine Raster fallen.
Gerade in Zeiten, in denen nicht nur in der US-Gesellschaft, sondern auch hier in Europa die Konflikte und Unterschiede zwischen den Menschen verstärkt und extrem betont werden, halte ich einen verbindenden Blick auf die Welt und unsere Spezies für relevant und zwingend. Mit „We All Bleed Red“ habe ich Martins inspirierenden fotografischen Ansatz ins Filmische übertragen. Damit will ich den Zuschauer:innen die Möglichkeit geben, in vielfältige Lebenswelten einzutauchen. Ich hoffe, dass dieser Zugang fernab von allen Schlagzeilen einen neuen Blick auf dieses widersprüchliche und zugleich faszinierende Land ermöglicht. Ich denke, dass wir in Fremdem immer auch etwas von uns selbst entdecken können und dass jeder gute Film uns dabei helfen kann, den eigenen Horizont ein kleines Stück mehr zu weiten.
Martin Schoeller, geboren 1968, ist einer der weltweit bedeutendsten Porträtfotografen der Gegenwart. Er ist vor allem für seine extremen Nahaufnahmen bekannt – seine Close Up Serie, in der bekannte Gesichter mit der gleichen Aufmerksamkeit behandelt werden wie unbekannte. Die stilistische Konsistenz dieser Arbeiten schafft eine demokratische Plattform für den Vergleich zwischen den Porträtierten und stellt die bestehenden Vorstellungen des Betrachters von Berühmtheit, Wert und Ehrlichkeit in Frage.
Der in Deutschland aufgewachsene Schoeller wurde stark von August Sanders Porträts der Armen, der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie sowie von Bernd und Hilla Becher beeinflusst, die eine als Becher-Schule bekannte fotografische Typologie hervorgebracht haben. Schoeller studierte Fotografie am Lette Verein und zog Mitte der 1990er Jahre nach New York, wo er seine Karriere begann. Seine Porträts von Menschen, denen er auf der Straße begegnete, erlangten bald Anerkennung für ihre starke visuelle Wirkung. Seit 1998 hat er unter anderem für Magazine wie National Geographic, The New Yorker, Vanity Fair, TIME, The New York Times Magazine, Rolling Stone und GQ gearbeitet.
Schoellers Porträts werden international ausgestellt und gesammelt und sind auch Teil der ständigen Sammlung der National Portrait Gallery und des Smithsonian. Seine Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet. Martin lebt und arbeitet in New York City.
Josephine Links (Regie) wurde 1983 in Ost-Berlin geboren und ist auch dort aufgewachsen. Nach längeren Auslandsaufenthalten in England und Japan absolvierte sie ein Magister-Studium der Europäischen Ethnologie und Filmwissenschaft in Berlin und studierte anschließend an der Hochschule für Film und Fernsehen KONRAD WOLF in Potsdam-Babelsberg Regie. 2013 machte sie mit dem abendfüllenden Dokumentarfilm „Am Anfang“ ihren Diplomabschluss und arbeitet seither als freie Regisseurin. Ihre Filme wurden erfolgreich auf nationalen und internationalen Filmfestivals gezeigt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. 2021 erschien ihr erstes Buch als Autorin im BELTZ Verlag („Stilles Herz“). Mit ihrem Mann, dem Kameramann Michel Links, und den gemeinsamen zwei Söhnen lebt sie seit 2021 im Wendland.
Regie
Josephine Links
Kamera
Michel Links, Marcus Winterbauer
Montage
Anne Jünemann, BFS
Musik
Leonard Petersen
Ton, Sounddesign, Mischung
Oliver Stahn
Redaktion rbb/Arte
Dagmar Mielke
Koproduzent:innen
Milena Maitz, Falk Sanne
Produzentin
Jamila Wenske
Mit
Martin Schoeller, u.v.a.
Eine Produktion von Achtung Panda!
in Koproduktion mit Studio.TV.Film und Rundfunk Berlin-Brandenburg
in Zusammenarbeit mit Arte
gefördert mit Mitteln der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, MFG Filmförderung Baden-Württemberg, Nordmedia Film- und Mediengesellschaft Niedersachsen/Bremen sowie des DFFF Deutscher Filmförderfonds und German Films
im Verleih von Salzgeber