ein Film von Monika Treut
Deutschland/Taiwan 2005, 83 Minuten, Originalfassung in Mandarin und Englisch, mit deutschen Untertiteln
FSK: 12
Taiwan 2004. Monika Treut porträtiert Frauen aus drei Generationen: die Opernsängerin Hsieh Yueh-hsia, die Schriftstellerin Li Ang und die junge Filmregisseurin Chen Yin-jung. Ihr Film legt Zeugnis ab von den rasanten Veränderungen der Inselrepublik in den 2000er Jahren. Gleichzeitig berichtet er von einem Taiwan, das vor dem Hintergrund der militärischen Bedrohung durch China auf einem schlingernden Kurs zwischen kollidierenden östlichen und westlichen Werten, Konfuzianismus und Globalisierung fährt.
Taiwan ist das Land, das in jüngerer Vergangenheit die wohl rasanteste politische und wirtschaftliche Entwicklung im asiatischen Raum vollzogen hat. Innerhalb von drei Jahrzehnten verwandelte sich das Land von einem Agrarstaat in einen der führenden Standorte für Hochtechnologie in Asien und von der Militärdiktaktur der Kuomintang (KMT), der Partei Chiang Kai-sheks, in eine vollentwickelte Demokratie. Diese Entwicklung hat innerhalb der taiwanischen Gesellschaft zu radikalen Veränderungen geführt. Am klarsten lässt sich diese Veränderung anhand der veränderten Lebensbedingungen der taiwanischen Frauen aufzeigen.
Der Film porträtiert drei Frauen aus drei Generationen. Die drei Generationen verkörpern jeweils einen starken Aspekt der taiwanischen Gesellschaft. Während Hsie Hueh Hsia, die zur Zeit der japanischen Besatzung aufwuchs und als junge Frau die Übernahme Taiwans von den Nationalchinesen erlebt hat, für die traditionellen Werte und die streng hierarchische Familienstruktur steht, spiegelt sich in der Angehörigen der mittleren Generation der Umbruch von der traditionellen Rolle der Frau in der Gesellschaft zu der modernen Frau wider, die für Eigenständigkeit und Gleichstellung kämpft. Li Ang hat sowohl die Militärdiktatur mit ihren repressiven Werten, wie auch als junge Erwachsene den Übergang zur Demokratie als Befreiung erlebt. Chen Yin-jung wiederum steht für Modernität und Globalisierung. Ihre Vorstellungen und Lebensentwürfe orientieren sich nicht mehr innerhalb taiwanischer kultureller Grenzen, sondern suchen sich Orientierungspunkte für die eigene Identität über kulturelle und nationale Grenzen hinaus. Sehr viele junge Frauen verbringen mindestens zwei Jahre im Ausland, meist in den USA, England und Australien. Die Verbundenheit mit der taiwanischen Geschichte, dem Konzept des Konfuzianismus und der östlichen Weltanschauung löst sich zunehmend auf.
Der Film befasst sich nicht nur mit den individuellen Biografien dieser drei Frauen, sondern vermittelt auch ein Bild der taiwanesischen Gesellschaft in der brisanten Zeit des Umbruchs zwischen konfuzianisch geprägten östlichen Traditionen, den Werten des Westens in Zeiten der Globalisierung und der militärischen Bedrohung durch die Volksrepublik China. Der Film zeigt viele Facetten von Taiwan: das moderne wie das traditionelle, das verschlossene und das weltoffene, das heitere und das melancholische.
Wodurch wurde Dein Interesse an Taiwan und besonders für die taiwanischen Frauen geweckt?
Vor zwei Jahren wurde ich für eine Werkschau meiner Filme zu dem Filmfestival „Women Make Waves“ nach Taipeh eingeladen. Das ist ein Frauenfilmfestival, das seit etwa sechs Jahren besteht. Ich hatte bis dahin von Taiwan recht wenig Ahnung. Das Festival war sehr gut organisiert, klar und professionell. Meine Zeit in Taiwan, knapp zwei Wochen, war sehr reich und angefüllt mit Veranstaltungen. Es gab eine Konferenz zum Filmfestival an der Universität, die sehr akribisch vorbereitet worden war. Die Kinos waren ausverkauft, auch in meinen älteren Filmen saßen die Leute auf dem Fußboden. Das Publikum war jung, überwiegend zwischen 16 und 30 Jahren alt. Nach den Filmen kamen intensive, lange Diskussionen zustande, die mich sehr berührt haben. Gleichzeitig habe ich ein bisschen von Taipeh und vom Land insgesamt mitbekommen und das hat mich neugierig gemacht, mehr zu erfahren.
Hattest Du das Gefühl, dass die Taiwaner gerade an Deiner Arbeit so interessiert waren, weil sie bei Deinen Themen ein Nachholbedürfnis haben?
Absolut. Bis 1987 herrschte in Taiwan die ganz strenge Militärdiktatur von Chiang Kai-shek. Filme über Sexualität und Genderfragen wurden so gut wie nicht gezeigt. Anfang bis Mitte der 90er-Jahre zeigte sich dann ein ganz großes Nachholbedürfnis bei Frauen, Schwulen, Lesben, Umweltschützern und anderen kritischen Gruppen. Es haben sich viele Organisationen gebildet und es entwickelte sich eine lebendige Diskussion über Themen, die bis dahin verboten waren und nur im Untergrund diskutiert wurden. Dadurch ist auch zu erklären, dass meine Filme, die Feminismus und Gender behandeln, jetzt in Taiwan den Zeitgeist der jungen Generation treffen. Dort ist die Frauen-, die Schwulen- und die Genderbewegung noch recht jung.
Ist die Idee, diesen Film über drei Frauen zu machen, die aus der Sicht ihrer verschiedenen Generationen die Situation im heutigen Taiwan reflektieren, schon damals entstanden?
Die Grundidee wurde schon damals geboren, weil ich sehr fasziniert war von den Menschen und besonders den Frauen, die ich dort getroffen habe. Ihre Andersartigkeit, das konfuzianische Erbe ist sehr zu spüren. Alles ist viel sanfter, viel indirekter, sehr viel geheimnisvoller als im Westen. Allein die Kommunikation zu entschlüsseln, um was es eigentlich geht und wie man miteinander umgeht, ist sehr, sehr interessant. Das hat meine Neugier geweckt und es steckte auch eine große Lust in der Aussicht, dort einen Film zu drehen. Die Möglichkeit hat sich ergeben durch die junge Redaktion eines ebenso jungen Fernsehsenders, der erst 1998 gegründet worden ist und der erste und einzige öffentlich-rechtliche Fernsehsender in Taiwan ist.
Die Redaktion produziert und koproduziert Spiel- und Dokumentarfilme. Und sie waren sehr interessiert auch mal eine internationale Koproduktion zu versuchen. Die Situation der Frauen in dieser rasanten gesellschaftlichen Umbruchsituation war die Grundidee. Der kulturelle Ursprung in Taiwan findet sich in einer Mischung aus Taoismus, Buddhismus und Konfuzianismus, die lange Zeit das Denken und Fühlen der Menschen bestimmt hat. Mit der Besetzung durch die Japaner ist sehr viel japanische Kultur dazugekommen und die Besetzung durch die Festland-Chinesen unter Chiang Kai-shek hat noch eine weitere kulturelle Schicht hinzugefügt. Aber all diese Einflüsse haben das starke Familienbewusstsein, das aus dem Konfuzianismus herrührt, nicht so sehr verändert. Die Frau gilt als das schwächste Glied der Gesellschaft. Es gibt ein Sprichwort: Frauen sind wie verschüttetes Wasser. Frauen sind nichts wert, Frauen müssen dem Vater gehorchen und später sogar dem eigenen Sohn. Frauen sind im Konfuzianismus die, die unten stehen, die Last tragen, aber selber nichts bedeuten. Durch die Öffnung nach der Militärdiktatur und auch teilweise schon während des Militärregimes, das sich bis zu einem gewissen Grad an den USA orientiert hatte, haben sich der Konfuzianismus und die Rolle der Frau langsam verändert. Mit der Abschaffung der Militärdiktatur und der Befreiung des Volkes brach das alte Wertesystem dann regelrecht zusammen.
Im Lebenslauf der Opernschauspielerin Hsie Yueh Hsia entdeckt man eine ganz subversive Art, die konfuzianische Frauenrolle zu unterwandern. Dadurch, dass sie Männer spielte, konnte sie ihre ganze Familie versorgen. Wie hast Du so interessante Frauen gefunden?
Eine Schwierigkeit war, dass Taiwaner(innen) nur sehr ungern über sich selbst sprechen. Das Exhibitionistische, das für Amerikaner so selbstverständlich scheint, die eigentlich sofort jeden Fremden in die eigene Lebenswelt hinein ziehen und auch Geheimnisse freimütig preisgeben, ist in Taiwan unbekannt. Auch die Tradition, von „ich, ich, ich“ zu reden, ist den Menschen fremd. Das eigene Ich tritt immer erst einmal zurück oder ist ein formales Ich und innere Geheimnisse, wie Sexualität oder private Gefühle, werden nicht herausgelassen. Ich stieß relativ schnell bei meinen Recherchen an diese Grenzen und mir wurde klar, dass ich Frauen finden musste, die sich schon ein bisschen befreit haben von der konfuzianischen Bescheidenheit und dem Zurücktreten hinter die Tradition. Ich hatte großes Glück, Hsie Yueh Hsia, die Opernschauspielerin, über eine Freundin zu finden. Ich habe noch andere ältere Frauen kennen gelernt, die aber wesentlich zurückhaltender waren, und deshalb war Hsie Yueh Hsia die absolut beste Kandidatin für die ältere Generation. Li Ang, die Schriftstellerin, hat sich angeboten, da ich sie schon kannte und sie dem Frauenfilmfestival gegenüber sehr offen war und mit uns Veranstaltungen durchführte. Sie ist von sich aus schon sehr offen und sehr ungewöhnlich. Sie ist eine Weltbürgerin. Sie reist sehr viel und ihre Bücher sind in vielen Sprachen übersetzt.
Trotzdem ist sie in Bezug auf ihre Arbeit sehr zurückhaltend und spricht auch im Film nur wenig darüber…
Es besteht eine ganz andere Hürde an die Menschen heranzukommen, als in westlichen Ländern. Einerseits wegen ihrer Bescheidenheit, andererseits ist die Sprache auch wesentlich weniger direkt. Die chinesische Sprache liebt Bilder, Anspielungen, Wiederholungen. Sie lässt es nicht unbedingt zu, direkt und klar etwas zu sagen. Auch wird Persönliches ungern so öffentlich diskutiert. Allen Beteiligten war schließlich klar, dass der Film in Taiwan gezeigt und sicherlich für Diskussionen sorgen wird. Es besteht eine große Scheu, sich zu etwas zu bekennen, selbst bei der Schriftstellerin Li Ang, die Kontroversen gewohnt ist.
Findest Du ihre Sprache in den Büchern direkter als im Film?
Sie sucht sich Metaphern für eine Situation. In ihrem Roman „Gattenmord“ beschreibt sie die Geschichte einer jungen Frau, die keine Eltern mehr hat und in der Familie des Onkels lebt. Weil sie das schwächste Glied innerhalb der fremden Familie ist und nur eine zusätzliche Esserin, wird sie sehr früh verheiratet. Sie bekommt keine große Mitgift und wird gegen ihren Willen an einen Schweineschlächter verheiratet, der wegen seines Berufs keine Frau findet. Die junge Frau wird von ihrem Mann extrem schlecht behandelt; er lässt sie fast verhungern. Schließlich ersticht sie ihn mit seinem eigenen Schlachtermesser. Es gibt sehr drastisch beschriebene Szenen vom Geschlechtsverkehr, von Misshandlungen, aber alles bewegt sich innerhalb der Geschichte.
Die junge Regisseurin DJ hat die erste erfolgreiche Schwulenkomödie in Taiwan gedreht…
Es gibt schon eine Tradition schwuler Filme in Taiwan. Tsai Ming Liang ist ein bekannter taiwanischer Regisseur, der offen schwul ist und in seinen Filmen auch homosexuelle Figuren verwendet. Schwule Filme sind von daher kein Novum, die Überraschung war, dass der Film von DJ an der Kinokasse in Taiwan sehr gute Resultate erzielt hat und auch in Deutschland am 27. Januar 2005 im Kino startete. Es sind sehr viele junge Leute in den Film gegangen, die vollkommen begeistert waren, wo hingegen die künstlerischen Filme von Tsai Ming Liang nicht so populär sind. Die waren sehr erfolgreich auf ausländischen Filmfestivals, haben aber in Taiwan nie ein großes Publikum angezogen.
Obwohl sich DJ erfolgreich in der taiwanesischen Jugendkultur bewegt, wohnt sie immer noch sehr beschaulich bei ihren Eltern. Ist es besonders taiwanisch, dass sie beides so selbstverständlich unter einen Hut bringt?
Die jungen Leute wohnen traditionell bei den Eltern, bis sie eine eigene Familie gründen. Obwohl es natürlich auch schon die ersten Auflösungserscheinungen gibt, besonders in der Großstadt Taipeh. Die Eltern schauen sehr auf die Erziehung der Kinder, anders als im Westen. Es ist ihnen äußerst wichtig, dass die Kinder gut in der Schule sind. Dafür wird auch sehr viel Geld ausgegeben. Die Kinder bekommen Nachhilfeunterricht. Schon mit drei Jahren beginnen viele mit dem Englischunterricht, damit sie die Sprache später beherrschen. Die Eltern bestimmen extrem über ihre Kinder. Das lockert sich erst ein bisschen, wenn sie zur Universität gehen. Allen anderen bleibt nur die Möglichkeit, eine eigene Familie zu gründen, um der elterlichen Kontrolle zu entfliehen.
Ist die Autorität der Eltern nach wie vor unangefochten?
Die Eltern werden geehrt. Der Ahnenkult ist sehr wichtig im Taoismus und Buddhismus. Es gibt unglaublich viele Rituale und Feste, bei denen die Ahnen geehrt werden. Die Geister der Verstorbenen gehören zum täglichen Leben. In jedem Haus gibt es Bilder, bei denen man schon am Rahmen erkennen kann, dass es z.B. das Bild des verstorbenen Vaters oder der Mutter ist. Die hängen an einem zentralen Platz im Wohnzimmer und in der Nähe steht ein Altar, an dem Opfer dargebracht und Räucherstäbchen angezündet werden. An religiösen Festtagen wird Opfergeld verbrannt, weil davon ausgegangen wird, dass die Ahnen Geld brauchen. Manchmal werden auch nachgemachte Dollars verbrannt, weil der Urahn möglicherweise gerade in den USA weilt. Es werden Speisen und Getränke hingestellt, damit sie sich stärken können. Insgesamt besteht eine ganz andere Verbundenheit mit den Verstorbenen als bei uns. Sie sind präsent. Werden sie schlecht behandelt, kann sehr viel Unglück über die Nachfahren kommen. Dieser Glaube ist sehr verbreitet in Taiwan, auch bei der jungen Generation. Überhaupt äußert sich der Generationskonflikt nicht so wie im Westen, wo sich die Kinder durchaus mit den Eltern überwerfen. Es besteht eine viel größere Nähe. Wenn es Streit gibt, wird sanfter miteinander umgegangen, und im Endeffekt wird eher das getan, was die Eltern möchten. Das ist auch der Grund, warum die taiwanischen Jugendlichen nicht so frei sind, wie Jugendliche im Westen. Sie werden viel stärker von den Eltern gegängelt und werden auch daher später erwachsen. 17-jährige Taiwaner wirken wie 14-jährige Jugendliche aus dem Westen. Sie sind weniger erfahren. Ihre Sexualität wird von den Eltern extrem kontrolliert. Freiheit wird für Jugendliche nicht groß geschrieben.
Die Frauen, die wir im Film sehen, haben trotz aller Traditionen und Konventionen einen eigenen Weg gefunden…
Frauen drängen seit Ende der Militärdiktatur stärker in höhere Positionen. Zudem wurde die Ausbildung für Mädchen auch schon unter der japanischen Besatzung und dem Kuomintang-Regime wichtig genommen. Seit Ende der Militärdiktatur haben viele Frauen eine bessere Ausbildung als Männer. Das führt zu Spannungen zwischen taiwanischen Männern und Frauen. Es heißt, dass die Männer eigentlich keine taiwanischen Frauen heiraten wollen, weil sie ihnen zu gebildet und zu schwierig sind. Taiwaner heiraten dieser Tage gerne philippinische oder vietnamesische Frauen, Frauen vom chinesischen Festland, und sogar Russinnen. Es werden Frauen bevorzugt, die aus Ländern kommen, die nicht den gleichen Lebens- und Bildungsstandard haben. Und Taiwanerinnen interessieren sich für westliche Männer. Die gelten für sie als Sprungbrett, um weiterzukommen. Taiwanerinnen sind aufstiegsorientiert. Für sie ist es gesellschaftlich wichtig, Karriere zu machen. Außerdem sind die Familienbindungen jetzt nicht mehr ganz so stark und viele Frauen heiraten gar nicht erst. Das wäre vor 30 Jahren noch undenkbar gewesen.
Gibt es neben den persönlichen Veränderungen auch einen kulturellen Aufbruch in Taiwan?
Ja. Zum Beispiel wurde die taiwanische Sprache unter der Militärdiktatur verboten und nur Hochchinesisch, also Mandarin zugelassen. Davor war die offizielle Sprache japanisch. Die taiwanische Sprache hat sich aus einem Dialekt aus Südchina entwickelt. Vor 200 bis 300 Jahren kamen Chinesen aus der südchinesischen Provinz Fujian nach Taiwan und brachten ihre Sprache mit, die sich mit Elementen der Sprache der Ureinwohner zu einem eigenständigen Dialekt entwickelte. Taiwanisch ist ganz anders als Mandarin oder als Kantonesisch oder der heutige Fujian-Dialekt. Das einzige, was sie gemeinsam haben, ist die Schriftsprache. Festlandchinesen und Taiwaner verständigen sich, indem sie die Zeichen in die Luft schreiben oder auf Papier. Nach der Militärdiktatur hat es eine große Renaissance taiwanischer Kunst gegeben, z.B. macht Hsie Yueh Hsia taiwanische Oper. Sie selbst spricht auch nur taiwanisch, kein Hochchinesisch. Die taiwanische Oper ist wiederentdeckt worden und wird gefördert. Es gibt viel Unterstützung für kulturelle Veranstaltungen.
Der Staat kümmert sehr um die Kultur, weil international so wenig über Taiwan bekannt ist, seit es nicht mehr zur Weltgemeinschaft, zur UNO, gehört. Taiwan wurde 1973 ausgeschlossen, als die VR China aufgenommen wurde, die seither die Politik „zwei Wege – ein Land“ verfolgt. Für die Volksrepublik war Taiwan immer ein Teil Chinas, obwohl das nicht stimmt. Die UNO hat es damals verpasst, diese heikle Situation anders als im Interesse der VR China aufzulösen. Seit 1973 ist Taiwan als eigenständiges Land nicht mehr existent, es gibt kaum diplomatische Beziehungen zu Taiwan, außer der Dollar-Diplomatie, die Taiwan mit einigen ärmeren, kleineren Staaten pflegt. Zum Beispiel haben die Salomon-Inseln und einige kleinere afrikanische Staaten im Austausch gegen Entwicklungshilfe Taiwan diplomatisch anerkannt. Für die Taiwaner ist es eine große Verletzung, dass sie für die meisten Länder Visa benötigen. Es gibt viele Nachteile. So darf die taiwanische Fluggesellschaft China nicht überfliegen, die Schiffe dürfen nicht chinesische Gewässer befahren. Es gibt viele Behinderungen im alltäglichen, aber auch im Handelsleben. Leider gibt es überhaupt keine Sensibilität dafür, weil das Gros der Welt nach Chinas Pfeife tanzt. Als der taiwanische Präsident einen Friedenspreis von der EU erhielt, durfte er nicht selbst nach Brüssel reisen, weil China es nicht zulässt, dass er in offizieller Mission im Ausland auftritt. Der Vizepräsidentin, die für eine Organisation nach Südamerika reiste, wurde sogar verboten, in Washington zwischenzulanden.
Die Filmmusik ist eine sehr interessante Mischung aus traditioneller und Weltmusik…
Auf die Musik kam ich durch Wang Rong-yu, den Sohn Hsie Yueh Hsias, der Theaterregisseur ist. Er machte mich mit einem kleinen, unabhängigen Musikverlag bekannt, Taiwan Color Music, der zum größten Teil Musik von taiwanischen Ureinwohnern verlegt. Das ist auch noch eine Spezialität dieses Landes, die Musik der Ureinwohner, die seit zehntausenden von Jahren auf der Insel leben. Sie sind verwandt mit den nordamerikanischen Indianern, mit den Maoris in Neuseeland und den Hawaiianern. Man hat erst kürzlich herausgefunden, dass die Wiege der eingeborenen Völker in der Nähe von Taiwan liegt. Von dort gingen die verschiedenen Gruppen auf ihre Wanderungen und Erkundungsfahrten. Von den Maoris weiß man, dass sie sich bei günstigem Wind in ihre Boote gesetzt haben und bis nach Neuseeland gekommen sind und sich dort dann niedergelassen haben. Man erkennt die Verbindungen auch heute noch. Die taiwanischen Ureinwohner sehen Maoris und Indianern auch heute noch ähnlich und ihre Musik, die Farben und Muster, die sie verwenden, erinnern an die der indianischen Stämme. Die taiwanischen Ureinwohner sind berühmt für ihr musikalisches Talent. Ich hatte das Glück, durch das kleine Label TCM Zugang zu der Musik zu bekommen. Am Anfang des Films hören wir den Song „Me, Myself“ von Panai, einer jungen Aboriginal Sängerin. Sie wird auch die „Tracy Chapman von Taiwan“ genannt, wegen ihrer dunkeln Stimme und ihres melancholischen Gitarrespiels. Durch den ganzen Film benutzen wir Musik von Pau Dull, einem Aboriginal singer/songwriter vom Puyama Dorf, in der Nähne von Taitung an der Südostküste Taiwans. Die Musik von Panai und Pau Dull ist ein Stilmix aus vielen Musikrichtungen, wie Jazz, Rock, Reggae und traditioneller Aboriginal Musik. Sie singen in taiwanisch und Mandarin und in den Sprachen der Ureinwohner. Ich habe mich richtig in ihre Musik verliebt.
Seit knapp 40 Jahren prägt die lesbische Regisseurin, Autorin und Produzentin MONIKA TREUT mit ihren lustvoll-subversiven Spiel- und Dokumentarfilmen das queere Kino in Deutschland und der ganzen Welt. Geboren am 6. April 1954 in Mönchengladbach, studierte sie in Marburg Germanistik und Politik (Staatsexamen 1978) und promovierte 1984 mit der Dissertation „Die grausame Frau. Zum Frauenbild bei de Sade und Sacher Masoch“. Im selben Jahr gründete sie mit Elfi Mikesch die Hyäne Filmproduktion in Hamburg. Es folgte eine Theaterregie-Assistenz bei Werner Schroeter am Düsseldorfer Schauspielhaus. Als zentrale Figur der freien deutschen Filmszene ging sie Ende der 80er in die USA und gab mit ihrem konventionskritischen Ansatz und ihrer progressiven Perspektive auf lesbisch-schwule Sexualität dem gerade entstehenden New Queer Cinema entscheidende Impulse.
Zu ihrem Werk gehören das sadomasochistische und von der damaligen Presse leidenschaftlich angefeindete Liebesdrama „Verführung: Die grausame Frau“ (1985), das abenteuerliche Sex-Melodram „Die Jungfrauenmaschine“ (1988), die in New York gedrehte Familienkomödie „My Father Is Coming“ (1991), der in San Francisco entstandene und vielfach preisgekrönte trans*futuristische Dokumentarfilm „Gendernauts“ (1999) und das lesbische Coming-of-Age-Drama „Von Mädchen und Pferden“ (2014). Ihre Spiel- und Dokumentarfilme erhielten Preise in Deutschland, Italien, Brasilien, England, den USA und Griechenland. Retrospektiven fanden bisher in Ankara, Bern, Lyon, New York City, Seoul, Hamburg, Bogota, Buenos Aires, Tel Aviv, Cambridge, Bologna, Los Angeles, Toronto, Mexiko City, Lissabon, Thessaloniki, Athen, Sao Paolo, Helsinki, Taipeh, Warschau, Prag und Rio de Janeiro statt. 2017 wurde Treut für ihr Lebenswerk mit dem Special Teddy der Berlinale ausgezeichnet. Zwischen den Filmprojekten unterrichtet sie an Universitäten in Kalifornien und New York und schreibt Beiträge für Bücher und Zeitschriften. Seit 2018 vertritt sie die Professur für Medien an der Universität Hildesheim.
Filmographie (Auswahl)
1985
„Verführung: Die grausame Frau“ (Buch, Regie und Produktion zusammen mit Elfi Mikesch)
1988
„Die Jungfrauenmaschine“ (Buch, Regie und Produktion; Co-Produktion mit NDR; Bester Spielfilm und Darstellerpreis für die Hauptdarstellerin Ina Blum, IFF Turin 1989)
1991
„My Father Is Coming“ (Co-Autorin, Regie und Produktion; Co-Produktion mit NDR; Bester Spielfilm, IFF Turin 1991; John Babuscio Award, Britisches Filminstitut 1993)
1992
„Female Misbehaviour“ (KF-Dok.-Programm, bestehend aus „Bondage“, „Annie“, „Dr. Paglia“, und „Max“; Buch, Regie und Produktion)
1994
„Let’s Talk About Sex / Erotique“ (Kompliationsfilm; Buch und Regie)
1997
„Didn’t Do It For Love“ (Dok.; Buch und Regie; Produktion: Irene von Alberti, Filmgalerie 451)
1999
„Gendernauts“ (Dok.; Buch, Regie und Produktion; Co-Produktion mit WDR/arte; Spezialpreis der Teddy-Jury, IFF Berlin 1999; Publikumspreis, IFF Turin 1999; Publikumspreis, Mix Brasil Sao Paolo 1999)
2002
„Kriegerin des Lichts“ (Dok.; Buch, Regie und Produktion; Publikumspreis Internationales Dokumentarfilmfestival Thessaloniki 2002; nominiert für den Grimme-Preis 2003)
2005
„Den Tigerfrauen wachsen Flügel“ (Dok.; Buch, Regie und Produktion; Co-Produktion mit PTS, Taiwan; Bester Dokumentarfilm, San Diego Women’s Film Festival 2007)
2005
„Made in Taiwan“ (Dok. für die 3-sat Reihe „Mädchengeschichten“; Buch, Regie und Produktion; Co-Produktion mit ZDF/3-sat und PTS-Taiwan)
2009
„Ghosted“ (Co-Autorin, Regie und Produktion; Co-Produktion von Hyena Films mit Chi & Company, PTS, Taiwan, und ZDF/3-sat; Special Achievement Award, IFF Turin 2009)
2012
„Das Rohe und das Gekochte“ (Dok.; Buch, Regie und Produktion; Co-Produktion von Hyena Films mit PTS, Taiwan)
2014
„Von Mädchen und Pferden“ (Buch, Regie und Produktion; Co-Produktion von Hyena Films und Salzgeber; Spezialpreis für das Beste weibliche Ensemble, Image et Nation Montreal; Bester Spielfilm, Festival Equinale)
2016
„Zona Norte“ (Dok.; Buch, Regie und Produktion; Co-Produktion von Hyena Films mit ZDF/3sat)
2021
„Genderation“ (Dok.; Buch, Regie und Produktion)
ELFI MIKESCH (Kamera), 1940 in Judenburg (Österreich) geboren, lebt seit 1964 in Berlin. Seit 1976 Dokumentar- und Spielfilme als Regisseurin und Kamerafrau, zudem Arbeit als Fotografin. Bildgestaltung für Monika Treut, Werner Schroeter, Rosa von Praunheim. Sie bekam Auszeichnungen für Regie und Bildgestaltung. Lehraufträge an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin und der Universität der Künste in Berlin und Hamburg. Ihr Werk wurde in mehreren Retrospektiven präsentiert, das analoge Werk wurde durch die Deutsche Kinemathek restauriert. Seit 1991 ist Elfi Mikesch Mitglied der Akademie der Künste Berlin. Für ihre künstlerische Lebensleistung erhielt sie 2014 den Spezialpreis des Teddy Awards. 2018 fand in der Akademie der Künste die Ausstellung „Abfallprodukte der Liebe“ über ihr Leben und Werk und das ihrer künstlerischen Wegbegleiter Rosa von Praunheim und Werner Schroeter statt.
Auszeichnungen (Auswahl)
1978
Filmband in Silber für „Ich denke oft an Hawaii“
1980
Filmband in Silber für „Execution: A Story of Mary“
1992
Deutscher Kamerapreis für „Malina“ (Regie: Werner Schroeter)
1997
3sat Dokumentarfilmpreis
2006
Deutscher Kamerapreis: Ehrenkamera
2010
Friedrich-Wilhelm-Murnau-Filmpreis
2014
Spezialpreis des Teddy Awards für ihre künstlerische Lebensleistung
Regie, Buch & Produktion
Monika Treut
Kamera
Elfi Mikesch
Regieassistenz
Wen Cheng
Kameraassistenz
Wang Zhi-tian
2. Kamera
Tonike Traum
Schnitt
Angela Christlieb
Musik
Pau Dull, Panai, Difang, Zhao Xi
Ton
Yang Chia-hao
Mischung
Roland Musolff
Produktionsleitung
Madeleine Dewald
Mit
Hsieh Yueh Hsia, Li Ang, Chen Yin-jung
Sowie
Peng Ya-ling, Josephine Ho, Wang Rong-yu, Wang Pin-kuo, Michelle Yeh, Aileen Li, Tony Yang, Kuo Ya-ching, Yeh Yeh, Yeh Lee-shin, Li Ci, Justine Chen, Lu Mei-chiao, Shih Li Yu, Shih Shu und vielen anderen